Kartoffeln gegen Kalaschnikows

Konservative Zeitungen eröffnen Kartoffeloffensive/ Oppositionelle Kräfte in den neuen Sowjets sind schuld an der Versorgungskrise/ Sie bereiten den Umsturz der Regierung und Gorbatschows vor  ■ Von Klaus-Helge Donath

Moskau (taz) — In den letzten Wochen grassierten häufig Gerüchte durch die Sowjetunion, hohe Militärs bastelten an den Vorbereitungen eines gewaltsamen Umsturzes. Derlei Gerüchte sprießen vortrefflich auf dem fruchtbaren Humus des sowjetischen Chaos. Wer wollte ernsthaft behaupten, daß die Militärs — wider ihre angedrillten Sekundärtugenden — mit dieser Unordnung gut leben können. Beweise für eine konzertierte Aktion von KGB und Roter Armee konnte bisher keiner beibringen. Daß so manchem General danach gelüstet, endlich aufzuräumen, läßt sich unschwer vorstellen.

Den wiederholten Vorwürfen gegen die Statthalter der alten Ordnung begegneten gestern drei konservative Tageszeitungen mit einer Großoffensive: „Wem nützen die faulen Kartoffeln?“ fragte der Kommentator Wladimir Petrunja, um zu zeigen, wo die wahren Umstürzler sitzen. Das Thema ist hochaktuell, denn erst 3,7 Prozent der Kartoffelernte liegt in den städtischen „Gemüsebasen“ und keiner weiß eigentlich, warum. Moskau „sieht einem Hungerwinter entgegen“, schreibt der Autor, läßt das Thema dann fallen wie eine heiße Kartoffel, um tiefer in die Materie einzudringen. Die Knollenfrucht hat den Analytiker inspiriert, den dunklen Kräften nachzuspüren, die ein Interesse an der Unterversorgung haben müssen.

Überall dort, wo radikaldemokratische Deputierte in den Stadtsowjets säßen, träten Engpässe auf. Sie sorgten für eine künstliche Verknappung, um die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu schüren und den Weg für einen „konterrevolutionären Coup“ freizuräumen. Absichtlich hätten die Verantwortlichen diesem Problem keine Aufmerksamkeit geschenkt: „Ich wage zu behaupten, dahinter steckt Methode.“ Und wer steckt außer den „neuen Demokraten Moskaus“ noch dahinter? Ihre verbündeten Glaubensbrüder. Und damit meint er die radikaleren Vertreter in der Russischen Föderation um Boris Jelzin. Sie alle müssen daran ein Interesse haben. „Ihnen nützt diese Lage.“ Denn „heute können diese ominösen Probleme, die in Expertenmanier ausgenutzt und sorgfältig vorgeplant wurden, ohne Schwierigkeiten instrumentalisiert werden, um die Regierung und dann den Präsidenten zu stürzen“. Im Zusammenhang mit der Debatte um den neuen Wirtschaftsplan war die Regierung Ryschkow tatsächlich mehrfach aufgefordert worden, abzutreten. Und radikale Deputierte übten scharfe Kritik an den neuen umfangreichen Präsidentialrechten. Die Resolution des Parlaments der RSFSR gegen die Gorbatschowschen „Notstandsrechte“ interpretierte Petrunja als einen Versuch, Spannungen anzuheizen und einen Alarmzustand zu provozieren. Anschuldigungen richtete er auch gegen das „Demokratische Forum Rußlands“, das kürzlich ein „Aktionsprogramm 90“ verabschiedet hatte. Unter der Ägide des vormals prominenten Kommunisten Jurij Afanassjew will das Forum alle radikalen Kräfte sammeln und bei den nächsten Wahlen gegen die KPdSU antreten. Das Aktionsprogramm, so Petrunja, fordere Gewalt heraus, „um den Kapitalismus mit den gleichen Mitteln zu etablieren wie 1917 den Sozialismus“.