Parteien entdecken Pflegenotstand

■ CDA und FDP-Abgeordnete plädieren für Pflegepflichtversicherung/ Grüne fordern 200.000 Pflegekräfte — von Steuergeldern bezahlt/ Kabinett beschloß 6.500 neue Stellen für Psychiatrie

Berlin (taz/ap/dpa) — In der Diskussion um den sich verschärfenden Pflegenotstand in der Bundesrepublik haben sich seit Beginn dieser Woche, mit Ausnahme der SPD, VertreterInnen aller Bundestagsfraktionen zu Wort gemeldet. So forderte die FDP-Abgeordnete Ingrid Walz gestern eine private Pflichtversicherung, um das Pflegerisiko abzusichern. Auch die CDU-Sozialausschüsse (CDA) sprechen sich mehrheitlich für eine Pflegeversicherung aus — allerdings im Rahmen der gesetzlichen Krankenkassen. Das erklärte CDA-Sprecher Hermann-Josef Arentz am Montag in Bonn. Für die Grünen kommt nur ein durch Steuergelder finanziertes Pflegegesetz in Frage, bei dem nur hauptamtliche Pflegekräfte zum Einsatz kommen dürfen.

Frau Walz wies darauf hin, daß von den rund zwei Millionen alten, pflegebedürftigen Menschen in Westdeutschland etwa 300.000 in Heimen lebten. Weil als Pflegesatz zwischen 3.000 und 4.000 Mark verlangt würden, könnten sich nur die wenigsten diese Versorgung leisten. Sie erinnerte in diesem Zusammenhang daran, daß die durchschnittliche Rentenversicherung der ArbeiterInnen bei 920 Mark und die der Angestellten bei rund 1.315 Mark im Monat liege. Wer von diesen Personen in ein Pflegeheim komme, benötige zusätzlich Sozialhilfe. Daher solle eine private Pflichtversicherung für alle ins Berufsleben Eintretenden eingeführt werden und durch Sozialversicherungsausweis, Finanzamt oder Sozialamt kontrolliert werden. Auf die Hilfe ihrer eigenen Fraktion mag die FDPlerin kaum hoffen — von der ist sie in Sachen Pflegepolitik „frustriert“. Die FDP- Fraktion sei bisher nicht bereit, endlich das brisante Problem des Pflegenotstandes in Krankenhäusern oder Heimen anzugehen. Außerdem gebe es bei den Abgeordneten offenbar eine „Verdrängung“ und Angst vor der Möglichkeit, daß auch sie eines Tages alt, krank oder gebrechlich werden könnten.

Die CDA berechnet die derzeitigen Pflegekosten auf jährlich rund 20 Milliarden Mark. Schon jetzt müsse die Sozialhilfe rund neun Milliarden Mark jährlich für Pflegefälle in Heimen zahlen, erklärte CDA-Sprecher Arentz. Zum Forderungskatalog der CDA gehört auch der Ausbau von Sozialstationen — dabei müsse eine hauptamtliche Kraft für 2.500 BürgerInnen bereitstehen. Der Grünen- Sozialpolitiker Willi Hoss sieht einen Mehrbedarf von 200.000 hauptamtlichen Pflegekräften, die zu bezahlen jährlich netto 17,5 Milliarden Mark betrage. Die Einführung eines allgmeinen sozialen Pflichtjahres lehnen die Grünen ab.

Währenddessen hat die Bundesregierung eine Verordnung beschlossen, wonach in den nächsten fünf Jahren 6.500 zusätzliche Stellen im Bereich der stationären Psychiatrie geschaffen werden. Die Personalstellen sollen vor allem im Pflegedienst und beim therapeutischen Fachpersonal geschaffen werden. ak