Berlin: „Sparschwein der Einheit“?

Große Koalition der Bonner Haushaltsexperten verlangt: Berlin-Förderung mit Arbeitnehmerzulage soll bereits 1991 gestrichen werden/ Berliner SPD und CDU lehnen dies in seltener Einmütigkeit ab  ■ Von Kordula Doerfler

Berlin (taz) — Eine Woche, bevor in Berlin mit Glanz und Gloria die deutsche Einheit zelebriert werden soll, zittert die Stadt wieder einmal um ihre finanzielle Zukunft: Einer Veröffentlichung des Berliner 'Tagesspiegel‘ zufolge herrscht unter Bonner Haushaltspolitikern aller Fraktionen, mit Ausnahme der Grünen, große Einigkeit darüber, daß bereits 1991 die Steuervorteile für Unternehmen gestrichen werden sollen. Eingeschlossen in die Sparpläne ist auch die achtprozentige Arbeitnehmerzulage, die Westberliner ArbeitnehmerInnen aufgrund der Insellage der Stadt in der Vergangenheit erhielten (alles bekannt unter dem Begriff „Berlin-Förderung“).

Die Finanzexperten Glos (CDU/ CSU) und Gattermann (FDP) stimmten darin überein, so der 'Tagesspiegel‘, daß die Ermäßigung der Einkommensteuer in West-Berlin, die 30 Prozent ausmacht, ab dem nächsten Jahr radikal abgebaut werden solle. Ähnliches sollen sie auch für die geringere Körperschaftssteuer in West-Berlin vorgeschlagen haben. In Bonn hat sich damit fast eine Allparteienkoalition gegen Berlin gebildet, denn am Wochenende stieß schon die SPD-Finanzfachfrau Matthäus-Maier ins gleiche Horn.

Die Berliner Politiker reagierten auf die neuen Gerüchte aus Bonn ausgesprochen gereizt. Schon den ganzen Sommer über waren sie immer wieder durch Parolen aus Bonn über die künftige Finanzlage der Stadt aufgeschreckt worden. Erst nach zähen Verhandlungen war Finanzminister Theo Waigel die Zusage entlockt worden, die Berlin-Förderung, die in diesem Jahr 9,2 Milliarden Mark ausmacht, bis 1998 nur schrittweise abzubauen. Und obwohl Bundeskanzler Helmut Kohl mehrfach zugesichert hatte, daß die Bonner Hilfe zum Berliner Haushalt (in diesem Jahr rund 13 Mrd. Mark) solange weiterbezahlt werden soll, wie es die wirtschaftliche Situation der Stadt verlange, wollten auch hier immer wieder die Finanzexperten der Parteien den Rotstift ansetzen.

Während sich in Bonn die Politiker aller Couleur einig sind, daß es Berlin an den Geldbeutel gehen muß, sehen die Westberliner SPD und CDU das in seltener Einmütigkeit anders. Mit der Vereinigung beider Teile Berlins wird sich die wirtschaftliche Lage Berlins zunächst keineswegs entspannen, denn auch Ost-Berlin hängt zum überwiegenden Teil am Tropf der Zentralregierung. Die Arbeitslosigkeit steigt dort rapide, das Steueraufkommen wird in den nächsten Jahren nur gering sein. In Berlin herscht zwar Einsicht in die Notwendigkeit, langfristig sämtliche Vergünstigungen für Berlin abzubauen, man zittert aber vor einer kurzfristigen Roßkur. Der Regierende Bürgermeister Walter Momper warf den Bonner Politikern vor, unsinnige Subventionen wie den Kohlepfennig weiter zu erheben, aber Berlin als „Sparschwein für die Einheit“ zu benutzen. Sein Wirtschaftssenator Peter Mitzscherling (SPD) befürchtet, daß eine rasche Kürzung der Berlin-Förderung die Stadt sofort 20.000 Arbeitsplätze kosten würde. Viele Unternehmen in Berlin würden unmittelbar in die roten Zahlen rutschen, warnte der Senator. Obwohl das Berlin-Förderungsgesetz den Subventionssumpf blühen läßt und auch in der Stadt scharfe Kritiker hat, dürfte diese Prognose zutreffen. Viele Unternehemn verlegten ihre Produktionsstätten in der Vergangenheit nur wegen der steuerlichen Vorteile in die isolierte Halbstadt. Die Berliner Industrie hat ebenfalls bereits mehrfach gereizt auf die Ankündigungen aus Bonn reagiert. Im Gegensatz zu Wissenschaftlern der Freien Universität oder dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), die die Förderung für höchst ineffektiv halten, fordert sie einen behutsamen Abbau der Subventionen.