: Tristesse im Sektkorken
■ Weder Zuschauer noch Stimmung beim Leipziger Tennis Grand-Prix und eine unwirsche Steffi Graf
Es ist wie ein Embryo, gehen Sie behutsam damit um.“ Die Augen von Ivan Radosevic leuchten vor Vaterglück. Der Leipziger Damen-Grand-Prix ist sein erster Tennis-Zögling. Und, wie so oft bei Erstgeburten, geht vor Aufregung einiges schief. Eine Frühgeburt! Kaum einer da, dem Neugeborenen zu huldigen. Wenige Hundert Fans bevölkern die 7.800 Plätze der Messehalle 7, die temperaturmäßig an einen Brutkasten, stimmungsmäßig an Kirche erinnert. Aber Zuschauer seinen noch nicht so wesentlich, beurteilte Radosevic die Trostlosigkeit, vielmehr gehe es um „die Idee“. Und die scheint selbstlos wie idealistisch: Der „Tennis-Diaspora“ DDR muß „Entwicklungshilfe“ geleistet werden. 5,5 Millionen Mark kostet das Glück. Das vom Westen angekarrten Equipement bleibt in Leipzig. In alter Tradition, wurde auch hier ein Fünf-Jahres- Plan vereinbart.
Als Finanzier hat Radosevic wg. der „Idee“ nicht etwa den Meistbietenden herausgesucht, sondern eine Firma, die sich seit Jahren in der DDR betätigte. Sportförderung solle nicht kurzfristigen ökonomischen Zielen dienen, sondern „den Leistungswillen, das solidarische Handeln, die Achtung vor Gesetzen und Regeln der Gemeinschaft“ aktivieren, hörte man.
Solche Gedanken, so edel, so gut, sind natürlich nicht nüchtern kalkulierenden Managerhirnen entsprungen. Nein, es war Steffis Idee. Im September 1989 fiel ihr ein, daß sie in der DDR spielen wolle. Flugs kauften Pappi Peter und SCI-Manager Radosevic der US-Stadt Mahwah den Grand-Prix ab und packten ihn nach Leipzig. Steffis Turnier ward geboren. Mit Mitspracherecht. So wollte sie keine VIP-Lounge. Und niedrige Preise. Dennoch: 22 Mark aufwärts sind viel Geld für DDR-Bürger, die sich eines gelasseneren Verhältnises zum Tennis erfreuen. Nur 45.000 Mitglieder zählt der DDR-Verband, so viel wie in Nordrhein-Westfalen. Zudem haben viele DDRler momentan existenziellere Sorgen als den Besuch von Sportveranstaltungen.
Doch obgleich sich das Turnier angeblich über die Sponsoren- und Fernsehgelder (ZDF) trägt, verschenkt wurde nichts. Immerhin kommt Steffi. „Steffi besucht Leipzig, Steffi vereinigt mit den Fans“, jubelten die DDR-Zeitungen. Allein, der Star ließ sich nicht blicken. Im Morgengrauen trainierte sie, setzte sich nach Berlin ab, verschanzte sich im Hotel. Und gab nach ihrem ersten Auftritt vor 800 Zuschauern gegen die Italienerin Laura Golarsa (6:6, 6:2) gar schlechtgelaunt zu, daß dieses Turnier wie jedes andere sei und Leistung Priorität habe. Die DDR- Journaille ward entsetzt. Auch daß man die Graf nicht zum Interview herzitieren kann, befremdete die Medienarbeiter, die bisher allüberall Zugriff auf ihre Sportler hatten.
Enttäuscht waren auch die Fans, die sich wegen der ungünstigen Zeit für ihre Steffi gar frei nehmen mußten. In ihrem üblichen Tempo hetzte sie auf den Platz, keulte ihre Gegnerin nieder, gab drei Minuten wort- und blicklos Autogramme und entschwand inmitten ihrer Bodyguards. Kein Winken, kein Lächeln. Steffi cool. Volk enttäuscht. Veranstalter befremdet.
Wo man sich doch so um die Zielgruppe bemüht hat. Keine VIPs, nur das übliche Zeltdorf. Mit dem Novum des integriertem Wühltischzelts: Sportartikel zum Ramschpreis. Dazu wurde die Plätze à la Disneyland nett gestylt: Die Netzrichter nahmen in überdimensionalen Sektkorken Platz, die Linienrichter in Kaffeeschachteln. Allein der Schiedsrichter wurde auf Intervention des ZDF aus seiner riesigen Limonadendose befreit. Nur einer findet das nicht sehr lustig: Genosse Lenin, der bronzenstarren Blickes vom Nachbargebäude aus den Untergang einer alten „Idee“ zusieht. miß
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