Härtere Linie gegenüber Boat-People

UNO-Flüchtlingshochkommissariat stellt „Boat-People“ vor die Wahl, „freiwillige Rückkehr in Würde jetzt — oder Deportation später“/ Proteste von Nicht-Regierungsorganisationen erwartet  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Freiwillige Rückkehr „in Würde jetzt“ oder „Deportation später“ — vor diese Wahl stellt das UNO- Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Genf künftig die vietnamesischen „Boat-People“ in Hongkong. Dies bedeutet einen grundlegenden Wandel in der Politik des UNHCR. Die neue Behandlung der vietnamesischen Boat-People könnte zum Präzedenzfall für eine rigidere UNHCR-Politik auch gegenüber anderen Flüchtlingsgruppen werden.

Die neue Politik wurde am Mittwoch vom UNHCR-Repräsentanten für Asien und Ozeanien, Jamshid Anvar gegenüber westlichen Diplomaten in Hongkong erläutert. Anvar kündigte an, daß UNHCR-Offizielle die vietnamesischen Flüchtlinge in der britischen Kronkolonie Hongkong „aktiv“ zur Rückkehr in ihre Heimat auffordern werden. Unter einem seit März 1989 laufenden Programm wurden bisher nur „Boat- People“ repatriiert, die sich „freiwillig“ um eine Rückführung in ihre Heimat beworben hatten. Nach langwierigen Verhandlungen vereinbarten Großbritannien, Vietnam und das UNHCR letzte Woche ein neues Repatriierungsprogramm, das auch die Flüchtlinge erfaßt, die sich einer Rückführung nicht ausdrücklich „widersetzen“.

Laut Anvar würden die Flüchtlinge künftig von den UNHCR-VertreterInnen vor Ort „aufgefordert, an dem neuen Programm teilzunehmen und in Würde nach Hause zu gehen — oder aber später deportiert zu werden“. Der Begriff „Deportation“ ist bislang vom UNHCR im Umgang mit Flüchtlingen nicht benutzt worden.

Das Genfer UNHCR-Hauptquartier verweigerte gestern jeden Kommentar zur der neuen Politik. Bei einer für heute in Genf vorgesehenen Diskussion zwischen Flüchtlingshochkommissar Thorvald Stoltenberg und in der Flüchtlingsarbeit engagierten Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) dürfte die neue Linie der UNO-Organisation hart kritisiert werden. Auch innerhalb des UNHCR ist das mit Großbritannien und Vietnam vereinbarte neue Rückführungsprogramm nicht unumstritten. Unklar ist, ob die durch die Vereinbarung neugeschaffene Kategorie von Flüchtlingen, die sich einer Rückführung nicht ausdrücklich „widersetzen“, überhaupt existiert. Das Programm steht unter starkem Erfolgsdruck vor allem aus London. Wenn die Zahl rückkehrender Flüchtlinge in den nächsten drei Monaten nicht nennenswert steigt, will Großbritannien Anfang 1991 mit der zwangsweisen Rückführung von Flüchtlingen aus Hongkong nach Vietnam beginnen. Seit März 1989 sind unter dem Programm der freiwillig beantragten Rückführung von den über 54.000 vietnamesischen Flüchtlingen in Hongkong nur 4.349 in die Heimat zurückgekehrt.