Roma protestieren: „Wir lassen uns nicht verkaufen“

Nordrhein-westfälische Roma befürchten Wortbruch der Landesregierung/ Scharfe Kritik an den Verhandlungen mit Jugoslawien  ■ Aus Essen Bettina Markmeyer

„Die spielen ein Spiel“, sagt Bobby. „Seit Februar warten die Leute. Bis zur Sommerpause sollte entschieden werden über das Bleiberecht.“ Bobby ist 27 Jahre alt, gelebt und gearbeitet hat er schon in vielen Ländern, zuletzt war er in Österreich, seit knapp drei Jahren wohnt er in Düsseldorf. „Das ist diese ganze Politik“, meint Bobby, und Freunde, die mit ihm am Tisch sitzen, stimmen zu. „Jetzt liegt unsere Akte wieder ganz unten. Statt daß entschieden wurde, warten wir nun seit der Sommerpause auf die Kriterien für das Bleiberecht. Der Minister hat seine Meinung wieder geändert.“

Mit Frau und Kind hat auch Bobby am „Bettelmarsch“ der nordrhein- westfälischen Roma Anfang dieses Jahres teilgenommen. Und wie viele andere hat auch seine Familie einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis gestellt. Der liegt nun beim Ausländeramt. Bearbeitet werden kann er nicht, denn es gibt keine Weisungen aus dem Innenministerium. Bobby weiß nicht, woran er ist. Mit großer Enttäuschung verfolgen die Roma den Rückzug des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Schnoor. (Siehe Bericht auf dieser Seite) Ihnen ist klar, daß die Chancen auf ein Bleiberecht ständig sinken. Klar ist für Bobby, wie für viele andere Roma, aber auch dies: „Ich gehe nicht nach Jugoslawien. Ich fühle mich nicht als Jugoslawe, ich lebe seit Jahren in anderen Ländern. Seit drei Jahren bin ich hier. Ich gehe in den Deutschkurs. Unsere Kinder“, er zeigt auf die anderen Männer, „gehen hier zur Schule. Ich will arbeiten.“ Und: „Die Regierung muß ihr Versprechen einlösen.“

Äußerst kritisch sehen die Roma die derzeitigen Versuche der Landesregierung, mit der jugoslawischen Zentralregierung über „Rückkehrmöglichkeiten“ für abgeschobene Asylbewerber Innen und „strukturelle Hilfen“ zu verhandeln. „Mit wem wird verhandelt?“ fragt Ismail Serafedin. „Jugoslawien hat viele Länder, sie sind untereinander verfeindet, und alle unterdrücken sie das Romano-Volk.“ Serafedin hat sich an der Organisation des „Bettelmarschs“ beteiligt. Die Landesregierung — und nicht nur sie — müsse begreifen, sagt er, daß es „für mein Volk kein Land gibt, mit dem man verhandeln kann. Die Roma haben kein Land.“ Daß die Gelder, die aus NRW für sogenannte Reintegrationsmaßnahmen nach Jugoslawien fließen sollen, jemals bei den Roma ankommen würden, bezweifeln wie Serafedin alle Roma-Vertreter. „Die wollen uns verkaufen“, urteilt er, bei den derzeitigen Verhandlungen zwischen NRW und der jugoslawischen Zentralregierung gehe es nicht darum, „bessere Lebensbedingungen für unser Volk zu schaffen. Es geht darum, Menschen abzuschieben.“

Jörn-Erik Gutheil, evangelischer Landeskirchenrat und Vermittler in den Bleiberechts-Verhandlungen zwischen Landesregierung und Roma-Vertretern, beurteilt die Mission der derzeit in Belgrad verhandelnden NRW-Delegation als „aussichtslos, da die Betroffenen nicht beteiligt sind“. „Es ist totaler Unfug“, meint auch Rudko Kawczynski, der den NRW-Bettelmarsch anführte und mit dem Innenministerium über die Bedingungen für ein Bleiberecht verhandelt, „mit einer jugoslawischen Zentralregierung zu arbeiten, die machtlos ist. Jugoslawien wird es schon bald nicht mehr geben.“ Die Rom & Cinti Union (RCU) protestierte bei der Landesregierung dagegen, von den Jugoslawien-Aktivitäten erst aus der Zeitung erfahren zu haben. Zwar sei die Erkenntnis richtig, daß Menschen in ihren eigenen Ländern geholfen werden müsse. „Beim Bleiberecht jedoch geht es um eine bestimmte Gruppe heimatloser Roma, die, obwohl sie größtenteils jugoslawische Papiere haben, keine Jugoslawen sind“, so Kawczynski: „Die BRD will sie loswerden, und Jugoslawien soll die Entsorgung übernehmen.“

Die Roma an Rhein und Ruhr registrieren erbittert, daß die Bleiberechtsanträge, die sie im Frühjahr nach dem „Bettelmarsch“ gestellt haben, nicht erst durch die Verhandlungen der NRW-Regierung mit Jugoslawien praktisch wertlos geworden sind. Roma-Vertreter kritisieren außerdem, daß lange, beispielsweise bei der Berechnung der Kosten für ein Bleiberecht, falsche Zahlen angenommen worden sind. Unter den insgesamt über 3.000 Anträgen für etwa 5.200 Menschen befänden sich etliche, die gar nicht von Roma, sondern über „gerissene Anwälte“ von anderen Flüchtlingen, beispielsweise Albanern, Serben oder Mazedonen gestellt worden seien.

Der nordrhein-westfälische Flüchtlingsrat startet heute, zum Tag des Flüchtlings, eine landesweite Unterschriftenaktion für das Bleiberecht. Unter den Roma wachsen Unsicherheit und Unruhe. Einigkeit herrscht unter den nordrhein-westfälischen Roma darüber, daß sie sich wehren wollen. „Es geht um unsere Existenz. Für uns ist das kein Spiel.“

Während für die Roma das Bleiberecht in weite Ferne gerückt ist, hat Innenminister Schäuble diese Woche der NRW-Landesregierung für ihre „neue Flüchtlingspolitik“ Beifall geklatscht und Unterstützung der Bundesregierung zugesagt. Und in Belgrad sitzt gestern und heute bereits ein Vertreter des Bundesinnenministeriums mit am Verhandlungstisch.