„Ich bin kein begeisterter Talkshow-Kucker“

■ Talk mit Claudia Valentin, Wolf Neubauer, Rolf Tiesler: Bremens „3 nach 9“-Redaktion über Talkshow / Smalltalk oder Bigsleep?

taz: Was sollen wir eigentlich von Ihren Gästen haben?

Wolf Neubauer: Wichtig scheint uns, daß die Gäste Gespräche ermöglichen, die nicht wie Tagesschau sind. Also daß man zusätzlich irgendwas rauskriegt, was bisher noch nicht gefragt worden ist — ist ja'n indiskretes Ding, so 'ne Talkshow.

Ist es nicht ein seltsames Fernsehgebilde: „Talkshow“ — wir sollen im Fernsehen doch fernsehen und nicht nahhören?

Claudia Valentin: Ich denke nicht, oft bist du doch neugierig, wie einer aussieht, der was Interessantes zu erzählen hat.

W.N.: Ich wäre als Zuschauer sicher kein begeisterter Talkshowkucker.

Oha.

W.N.: Ich finde Hörfunk einfach hinreißend; man kann was anderes dabei machen: zum Beispiel kochen. Ich bin zum Glück verkabelt, und das nutze ich hauptsächlich für Hörfunk. Der fördert noch die Fantasie. Während beim Fernsehen...

Sie sind ja ein Defätist?

W.N.: Also ich kuck mir natürlich die Talkshows der Kollegen an; aber aufgezeichnet. Da kann ich die langweiligen Passagen im Schnelldurchlauf durchziehen. Ich finde, das Interessante bei Talkshows ist, daß man wirklich Mimik sieht oder wie sich jemand verhält. Das ist die einzige Legitimation von Talkshow, daß ich Reaktionen von Menschen beobachten kann: von Zuschauern, von dem, der angesprochen ist, Wut von dem, der antwortet.

Daß sich jemand decouvriert vor der Kamera?

W.N.: Ja. Und da gibt es geradezu Auseinandersetzungen mit unseren Regisseuren, die immer diese Halbtotalen machen, halbgroße Bilder, Zweierkonstellationen. Bei einem der letzten Male haben wir den Regisseur gezwungen, nur noch große Bilder von Köpfen zu machen. Was merkwürdige Reaktionen bei den Zuschauern hervorgerufen hat: die einen fanden plötzlich eine Moderatorin schön, die andern fanden ihre Falten zu nah und starkes Stück.

Ist ja auch oft eine Intimgrenze überschritten zu uns im Sessel.

W.N.: Ja. Ich glaube, das ist überhaupt der Sinn von Talkshow. Wenn sie gut sein soll, geht man über Tabus hinweg oder es langweilt die Leute. Ich glaube, daß die das auch erwarten von uns und auf keinen Fall ruhige Gespräche.

Zuschauer sind aber sehr phantomale Phänomene. Woher wissen Redakteure, was diese brauchen?

C.V.: Wir lassen uns da von Verschiedenem beeindrucken. Die Zuschauerpost ist ja so repräsentativ nicht. In erster Linie schreiben immer Leute, die sich ärgern. Und wenn man das an den Einschaltquoten mißt - in der Regel sehen unsere Sendung anderthalb Millionen Zuschauer — sind auch 1000 Briefe ein verschwindend geringer Prozentsatz. Damit muß man also vorsichtig umgehen. Anzunehmen ist eine sachliche Kritik. Und dann kennen wir ja selbst viele Leute, die uns was zur Sendung sagen — und aus diesem allem macht man sich ein Bild.

Um mal auf die öffentlichere Kritik zu kommen: die wird ungeduldiger. Man vermißt Originalität. Die Moderatoren nehmen sich oft wichtiger als die Gäste, hören nicht wirklich zu. Ein Beispiel: Juliane Bartel im Streitgespräch mit dem ADAC-Präsidenten. Der wird mit ihren Vorurteilen beworfen, darf nie ausreden und man spürt, daß sich vor allem die Moderatorin profilieren will als irre respektlos und gute Autofahrerin. Das macht den ADAC-Typen zum Opfer und unbeabsichtigt sympathisch. Ist eine Moderatorin als Selbstdarstellerin sinnvoll?

C.V.: Ich glaube, Selbstdarstellung ist nicht das richtige. Der Moderator hat ein Konzept für ein Gespräch im Kopf und das versucht er, auf Linie zu halten — gerade bei Gästen, die sehr ins Detail gehen.

hierhin bitte die drei

am Tisch, 2 Männer

eine Frau

„3 nach 9“ v.li.: Wolf Neubauer,

Ich hätte den Herrn vom ADAC hochgradig aufschlußreich gefunden, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, auch Details von ihm zu hören. Da sieht man mal so 'ne Nase und will, wie Ihr erklärt habt, sehen, wie der sich gebärdet. Aber er darf gar nicht.

W.N.: Also wenn Sie das so empfinden, dann ist das ein Fehler, klar. Denn der ADAC ist der populärste Club in Deutschland, mit überhaupt den meisten Mitgliedern. Wer den leitet, und dann noch so'n Typ wie der Flimm, der auch noch Alkohol herstellt, ein fröhlicher Rheinländer ist, von dem will man viel erfahren. Nur muß man auch sagen — unabhängig davon, daß Moderatoren auch meist aufgeregter sind, als man sich das vorstellt — man muß an ihn ran. Vielleicht war das aber auch eine redaktionell falsche Gangart, daß wir gesagt haben zur Juliane: Geh' da ran, laß den nicht zu gut wegkommen, der mit seiner Verkehrspolitik ist ein übler Schurke. Aber mal zu den Kritikern: Ich finde unterdessen Eure Kritiken — auf 'ner unterschiedlichen Ebene — fast auf dem gleichen Niveau wie die vom Kurier am Sonntag. Entschuldigung, wenn ich das mal so sage. Man hat häufig den Eindruck, daß das Leute schreiben, die Fernsehen doof finden, Fernsehen ist sowieso Scheiße...

Widerspruch!

C.V.: ... aber es wirkt so. Als wenn ihr Talkshows haßt und nur noch widerwillig davor sitzt und eigentlich hättet ihr viel Besseres vorgehabt...

Letzteres könnte hinkommen, liegt aber nicht an uns, sondern an dem, was wir serviert bekommen...

W.N.: ... Talkshow ist sowieso nur Scheiße, aber weil 3 nach 9 eben aus Bremen kommt, schreibt ihr noch was drüber. Ich finde, daß das unprofessionell ist. Aber das ist beim Weser-Kurier noch schlimmer.

Rolf Tiesler (just dazugekommen): Nun ist eine Fernsehkritik auch 'ne Sache, die zwei verschiedene Abnehmer hat: einmal den Leser, der wissen will, wie findet denn meine Zeitung das, was ich da gesehen habe. Und dann: die professionellen Macher, die wissen wollen, was haben wir falsch gemacht, was können wir verändern. Wir betrachten ja eine Kritik durchaus als Spiegel unserer Arbeit, wenn sie sich denn wirklich damit auseinandersetzt.

Die taz ist absolut keine Kultur

Rolf Tiesler, Claudia Valentin

pessimistin, die sagt: Glotze ist Fernsehen pfui. Im Gegenteil: man ist einfach zu oft enttäuscht und genervt, weil das Fernsehen seine Möglichkeiten verschenkt. Außerdem: Wenn einem nichts Neues geboten wird, woher soll unsereins da noch neue Gedanken zum Thema Talkshow hernehmen? Im übrigen hat man zu oft den Eindruck, die Moderatoren haben den Laden nicht im Griff.

C.V.: In der Umkehrung heißt das doch aber, daß ihr euch viel mehr für Moderatoren erwärmt, die noch sehr viel mehr dominieren? Eben haben Sie gesagt, die dominieren zu sehr. Persönlichkeiten wie Lea Rosh oder Dagobert Lindlau — die tun das ja noch sehr viel mehr.

Dominante Persönlichkeiten oder schwätzerische Selbstdarsteller — das ist ein großer Unterschied. Bei Lea Rosh z.B. hatte man das Gefühl, da ist eine souverän und hat Gast und Situation im Griff, kriegt auch die chaotischsten Fäden wieder zusammen. Ich habe keine Lust, mit Moderatoren zwei Stunden lang mitzuschwitzen, ob sie einigermaßen durch die Sendung kommen. Lindlau, Menge, Nenning: die hatten ein Profil,

über das man sich zwar ärgern, an dem man sich aber auch produktiv reiben konnte.

W.N.: Also die Eitelkeiten dieser Erwähnten sind ja viel größer als die unserer jetzigen Moderatoren. Klar ist, daß man das bei denen wegen großer Persönlichkeit in Kauf nimmt; als Teil eines Spiels, wo zwei Leute sich darstellen. Die Neuen kennt man ja auch noch nicht richtig, die müssen noch zusammenwachsen.

Aber Entschuldigung: Ob man eine Sendung sehen will, das entscheidet sich doch nach höchstens einer Viertelstunde. Da überleg' ich mir doch nicht, was könnte die Redaktion damit beabsichtigen wollen?

C.V.: Da haben Sie recht. Aber man erinnert sich auch bei Lea Rosh nicht mehr an die Anfänge, wo die so fabelhaft noch nicht war. Das stellt sich ja erst her mit der Zeit.

Es ist ja nicht so, daß wir nicht doch wohlwollend vor der nächsten Sendung sitzen und hoffen: nu aber.

W.N.: Nanana...

Durchaus. Wenn man aber zum wiederholten Talk-Mal das Gefühl hat: wieder nur solala? Sollen sich die Kritiken gleichen wie

Foto: Wolfram Steinberg

die Talkshows?

W.N.: Nach dem Motto: Man kanns nicht mehr ernst nehmen...

Irgendwann gehen einem die originellen Gedanken zum Thema Talkshow entschieden aus. Vielleicht ist das ja auch Ihr Problem: Die Talkshow ist so inflationär geworden wie das Wort. Wo bleibt der Kick?

C.V.: Da sind Sie aber doch im Gegensatz zu sehr vielen Zuschauern: Die wollen diesen Kick sehr viel seltener, die möchten möglichst harmonische Gespräche, möglichst sehr ausgebreitet, und das alles sehr nett und sehr höflich. Die haben ein sehr großes Bedürfnis nach Harmonie. Natürlich auch nach Zirkus und Spektakulum. Zwischen diesen Extremen bewegt sich das.

R.T.: Und nicht zufällig hat die NDR-Talkshow, also die harmonischste, die meisten Zuschauer. Die haben ja nun überhaupt nicht die Absicht, irgendjemandem weh zu tun.

Radio Bremen hat doch aber den Anspruch, mein' ich jedenfalls, weh zu tun.

R.T.: Für uns ist das ja auch ein Problem der Dosis. Wir machen die Sendung jetzt seit 15 Jahren, und wir rennen immer noch dem Anspruch aus der Anfangszeit nach, wo noch niemand so eine Sendung gemacht hat und wir wirklich die ersten waren, die sowas gewagt haben. Das ist inzwischen bis in die Einzelheiten nachgemacht worden. Bis ins Cafehausdetail.

W.N.: Ich sag' Ihnen, wo wir wirklich wieder revolutionär werden: durch Personality-Sendungen. Wenn sie sich die Talkshowszene ankucken — fast alle Talkshowsendungen gehen auf reine Themensendungen, d.h. die Personen werden nicht mehr befragt, der klassische Fall ist Leas „Freitagnacht“. Ich registriere an mir selbst, daß mich das zunehmend langweilt. Dagegen bei Personen höre ich doch besser zu. Bremke, der NDR-Talkshow- Chef, macht eine gute Mischung: der präsentiert das schöne Gesicht, Glamour...

Bißchen Frau im Spiegel...

W.N.: Ja, richtig, Illustrierte, Frau im Spiegel. Und wir vielleicht ein bißchen hintergründiger Richtung Stern. Im Anspruch. Jedenfalls: die Darstellung von Personen ist, wie ich glaube, a la longe das Zukunftsträchtige.

Schnitt: Was braucht eine Talkshow für Talkmaster-Charaktere?

W.N.: Unterschiedliche. Eine schillernde, wie Heidi Schüller etwa, quasi die Nachfolgerin von Marianne Koch — die konnte man ja damals noch auf der Lambretta zeigen konnte in ihren alten Arztfilmen, das hatte was. Dann den Typ Unsympath, den man braucht, damit die Leute sich an ihm reiben, sich ärgern, aber eben deshalb einschalten, um mitzukriegen, was er nu wieder anstellt, ein Intellektueller.

C.V.: Dieses Achtersinnige von einem Günter Nenning, das brauchst du auch bei einem Moderator; einen, der so um die Ecken denkt, um die man normalerweise nicht denkt.

W.N.: Im Vergleich zu Juliane Bartel ist Randi Crott die Liebe, die Sympathischere, die Lust an so kleinen Pusseleien hat. Und Juliane ist so die Berliner Draufgängertype, Giovanni etwas hintersinniger. Das kommt alles noch nicht so raus, und vielleicht vertun wir uns dabei auch.

Wann müssen eigentlich die Gäste feststehen?

W.N.: Das ist vielleicht ein Scheißding. Die Promis müßten ganz früh feststehen. Die Programmzeitschriften haben ganz früh Deadline. Ich habe zum Beispiel versucht, Mister Swatch zu kriegen, den mit den Uhren aus der Schweiz, der baut jetzt ein Swatch-Auto, also so'n Wegwerfauto.

Hab' ich für letztes Mal nicht gekriegt. Der wollte, weil er eng mit ihr befreundet ist, die Fürstin Gloria mitbringen. Da hat er gesagt, am 21. September? Tut mir leid, da haben wir zu dritt ein Essen mit Margret Thatcher in Zürich. Würden sie das absagen für ne Talkshow? Wir haben einen Schnitt von 30-60 Absagen.

R.T.: Und wir kämpfen hier natürlich ganz erheblich gegen unsern Standortnachteil. Die ZDF- Talkshow live in Frankfurt hat überhaupt keine Probleme, Gäste zu bekommen, da kommt man ja abends wieder weg! Aber wenn die bei uns hören: ach, da muß ich 'ne ganze Nacht in Bremen bleiben, dann überlegen die sich das gut.

W.N.: Macht einen Teil der Kosten aus. Es gibt ja auch ein Nachtflugverbot. Wir müssen unterdessen verschiedenen Leuten zusagen, daß sie mit einem Taxi nachts an einen bestimmten Ort dieser Republik gebracht werden von uns. Die werden von uns in große Benze geschoben nach der Senung und nach Kaiserslautern oder sonstwohin gebracht.

Macht das was mit einem, wenn man dauernd mit den Promis der Republik zu tun hat?

C.V.:Nee, außer daß man gelegentlich ins Fluchen kommt, bis man sich zu denen durchgekämpft hat. Das ist ja unheimlich sperriges Gebiet mit zig Referenten oder Vorzimmern.

W.N.: Ich glaub', mit Redakteuren macht das nicht viel. Wir treten mit denen ja nicht in der Öffentlichkeit auf, können uns also mit denen nicht brüsten. Moderatoren haben alle 'ne Schacke. Und zwar spätestens, wenn sie beim Frisör erkannt werden und der sagt: Ich hab sie ja gestern im Fernsehen gesehen! Dann beginnt etwas locker zu werden, was mit dem Verlust der Schraube wirklich endet.

Immer?

W.N.: Immer.

Und dann müssen sie ausgewechselt werden?

W.N.: Ich glaub' ja. (lacht).

Interview: Claudia Kohlhase