Europäisches Nein zum Stromvertrag?

Energieausschuß des Europaparlaments beschließt Änderungsanträge DDR-Energiesektor soll dezentral strukturiert werden  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Gibt es doch noch eine Chance, die Übernahme der DDR-Stromversorgung durch die drei Energiegiganten PreussenElektra, Bayernwerke und RWA zu stoppen? Das scheinbar machtlose Europaparlament (EP) könnte dazu beitragen. Schließlich wird die DDR am 3. Oktober auch Teil der Europäischen Gemeinschaft (EG). Die entsprechenden Eingliederungs- und Übergangsregelungen hatte die EG-Kommission Mitte August vorgeschlagen. EG-Ministerrat und Europaparlament werden das 325seitige Machwerk von DDR-Regierung und westdeutschen Stromkonzernen in den nächsten zwei Monaten beraten — und ergänzen. Den ersten Schritt dazu machte der Energieausschuß des Europaparlaments am Donnerstag in Brüssel. Mehrheitlich beschlossen die Abgeordneten Änderungsanträge zu den Übergangsregelungen im Bereich Energiesektor, gegen die der Ende August abgeschlossene Stromvertrag verstößt.

Eine harte Nuß für das bundesdeutsche Stromtrio, falls die Parlaments- und Ministerratsmehrheit den Anträgen der Euro-Grünen Hiltrud Breyer folgen sollte. Denn die EG-Gremien sollen danach beschließen, daß „der Energiesektor in der ehemaligen DDR dezentral strukturiert und der Einsatz erneuerbarer Energien bevorzugt sowie fiskalisch begünstigt wird“. Außerdem wollen die Europarlamentarier, daß „der Besitz an Kraftwerken und der Besitz an Überlandnetzen“ getrennt wird, „um Endverbrauchern eine Auswahl unter Energieproduzenten zu ermöglichen“. In diesem Sinne sollen auch „EG-Wettbewerbsprinzipien Geltung verschafft und im Sinne des Binnenmarktes Angebote aus anderen EG-Staaten eingeholt werden“. Weiterhin wird vorgeschrieben, daß für die Dauer von einem Jahr die DDR-Kommunen — wie im DDR- Kommunalverfassungsgesetz festgelegt — Eigentümer der vormals im staatlichen Besitz befindlichen Energieversorgungsunternehmen werden. Zu guter Letzt möchten sie, daß die Mittel aus dem Euratom-Vertrag nicht — wie bisher vorgesehen — zum Aufbau und zur Modernisierung von Atomkraftwerken, sondern zu deren Stillegung genutzt werden.

Um wirklich geltendes Recht zu werden, müßten diese Änderungsanträge vom Europäischen Parlament in zwei Lesungen — im Oktober und im November — verabschiedet werden. Wenn mindestens 260 der 518 Euro-Abgeordneten den Vorschlägen des Fachausschusses folgen (dies war bisher üblich), dann wären dem Ministerrat die Hände gebunden: Denn die Minister können vom Parlament in zwei Lesungen befürwortete Gesetzesänderungen nur einstimmig ablehnen. Da zumindest die dänische und holländische Regierung dem Übernahmeprojekt der bundesdeutschen Stromgiganten mißtrauisch gegenüberstehen, hätten die Änderungsvorschläge also durchaus eine Chance, Ende November bindende Gesetze zu werden.

Vorausgesetzt, die Europaabgeordneten lassen sich nicht, wie sonst in solchen Fragen üblich, von der Industrielobby über den Tisch ziehen. Wie gut sie im lobbyieren sind, haben die drei Energiekonzerne im Sommer vorgeführt, als sie in einer Blitzaktion die bestehenden Kraftwerke der DDR, das Verbundnetz und sechzig Prozent des gesamten DDR-Strommarktes übernahmen — um angeblich den drohenden Blackout im nächsten Winter zu verhindern.