Ein Sieg in Karlsruhe schafft neue Probleme

■ Kommt die Klage gegen das Wahlgesetz durch, müssen sich Grüne/Bündnis 90 eventuell neu zusammenschließen INTERVIEW

Hans-Christian Ströbele ist Bundesvorstandssprecher der Grünen.

taz: Wenn das Bundesverfassungsgericht positiv entscheidet, kommen auf die Grünen neue Hausaufgaben zu. Wird dann das gerade erst mühsam gezimmerte Bündnis mit den DDR-Bürgerrechtsgruppen hinfällig?

Hans-Christian Ströbele: Ein positiver Spruch bringt möglicherweise große Probleme. Aber alle Partner sind sich einig, daß das Bündnis steht und auch stehen bleiben soll — unabhängig davon, wie in Karlsruhe entschieden wird. Das wird lediglich Auswirkungen haben auf die juristische Konstruktion des Bündnisses. Wir gehen davon aus, daß wir auf der Grundlage der gemeinsamen Wahlplattform zur Wahl antreten, wie immer das aussieht.

Wird das Bundesverfassungsgericht überhaupt eine klare Handlungsanweisung geben?

Das Bundesverfassungsgericht wird keine konkrete neue Regelung beschließen, sondern nur die Verfassungswidrigkeit der bisherigen feststellen. Die sauberste Lösung wäre, wenn die beiden deutschen Regierungen noch vor dem 3. Oktober einen neuen Vertrag aushandelten. Die weniger saubere, aber mögliche Lösung wäre, daß der deutsche Bundestag ein neues Wahlgesetz entlang des Richterspruchs beschließt. Es ist sehr fraglich, ob das Gericht die ganze Fünfprozentklausel für verfassungswidrig erklärt, was für uns ganz prioritäres Ziel ist, oder die Möglichkeiten zur Listenverbindung ganz oder teilweise für verfassungswidrig erklärt. Es ist auch denkbar, daß die Karlsruher Richter konkurrierende Listenverbindungen zulassen. Eine weitere Variante wäre, daß die bundesdeutschen Grünen eine Fusion mit den DDR- Grünen vollziehen müßten, wenn keine Listenverbindung möglich ist. Möglich wäre aber auch, daß die Bundesgrünen nur im Bundesgebiet kandidieren und die Grünen/Bündnis 90 in der DDR, wenn etwa eine Sperrklausel für das jeweilige Zählgebiet vom Verfassungsgericht als die beste Lösung angesehen wird. Dafür gibt es Anhaltspunkte.

Der Bundesvorstand der Grünen hat im Sommer lange gezögert, ob gegen das Wahlgesetz überhaupt Klage erhoben werden soll. Das lag auch an den erahnten Schwierigkeiten, die bei einem positiven Spruch auf die Grünen zukommen würden.

Ich war immer der Meinung, daß eine Klage ein Höchstmaß an Erfolgsaussicht hat. Aber wir zögerten deshalb, weil natürlich auch eine Entscheidung herauskommen kann, die für unseren gemeinsamen Antritt zur Wahl mit den DDR-Gruppen schwieriger sein kann als die jetzige Situation. Wenn etwa die Möglichkeit von Listenverbindungen ausgeschlossen wird, und eine Sperrklausel von drei oder zwei Prozent bleibt, dann wäre es für die DDR-Gruppen weiterhin nicht möglich, allein anzutreten. Vielmehr müßten sie sich in irgendeiner Form mit den Bundesgrünen zusammentun, um mit Erfolgsaussichten kandidieren zu können. Wir haben uns dann doch dazu entschlossen, weil in unseren Bündnis-Verhandlungen von den DDR- Partnern ganz konkret gefordert wurde, den undemokratischen Charakter des Wahlgesetzes deutlich zu machen und andere Gruppierungen wie das Neue Forum und die PDS eine Klage bereits angekündigt hatten.

Ist bei einem positiven Spruch des Gerichts eine Verschiebung des Wahltermins 2. Dezember nicht zwingend? Denn sonst würde doch den DDR-Gruppen und den Grünen keine Möglichkeit bleiben, auf das Urteil zu reagieren.

Ein Festhalten am Wahltermin bringt natürlich ungeheure Probleme, weil die Zeit zur Anmeldung und Meldung der Kandidaten immer kürzer wird. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß aufgrund des neuen Drucks und der daraus entstehenden Ungerechtigkeiten neue Schritte zum Bundesverfassungsgericht erwogen werden. Die Bundesregierung hat schließlich deutlich gemacht, daß sie an dem Termin auf jeden Fall festhalten will. Das Gespräch führte Gerd Nowakowski