Kleine Kontroversen, großer Konsens

Im DDR-Wahlkampf gehen die Uhren anders/ Absage an Streitereien nach westlichem Muster „Wir wollen der Stadt helfen“/ Finanzämter funktionieren nicht, die kommunalen Kassen sind leer  ■ Von Heide Platen

Da sitzen sie nun und haben Konsens, Konsens, und noch einmal: Konsens. Es bleibt ihnen — und das unterscheidet die DDR-Politikerzunft von den westlichen WahlkämpferInnen — auch gar nichts anderes übrig. Die Podiumsdiskussion im Kultur- und Freizeitzentrum im gigantischen Hochhausviertel im Erfurter Norden ist parteiübergreifend harmonisch von CDU bis zum Neuen Forum. Auf drängende Fragen entdeckt CDU-Mann Norbert Knobloch, schülerbrav, doch noch ein Haar in der Suppe. Die SPD habe, räsoniert er, entgegen der Absprache zu früh angefangen, Plakate zu kleben. Ist das alles? Am Beispiel der Erfurter Kommunalpolitik wird deutlich, warum der DDR-Wahlkampf — vorerst noch — so anders ist als in der Noch-BRD. Die Stadtsäckel sind leer, da kommt, zumindest bis zum Jahresanfang nichts hinein außer „Vergnügungs- und der Hundesteuer“. Die Finanzämter arbeiten noch nicht, im Gegenteil, stellt Hubert Peter ( SPD) resigniert fest: „Die haben sogar Leute, die ihre Steuern zahlen wollten, wieder weggeschickt.“ Zwölf Pfennig für die Straßenbahn? Das Drucksen auf dem Podium ist einheitlich. Das kann nicht so bleiben. Erhöhen, „aber mehr Fahrkomfort“, schlägt der CDUler unpopulär vor. In der Stadt überschlagen sich die Gerüchte. Ob die Poliklinik wirklich geschlossen wird? Nein, für fünf Jahre wird sie mindestens weiterbestehen, Ärzte sollen sich dort „einmieten“ können. Und was ist mit einem der größten Arbeitgeber, mit den rund 9.000 Beschäftigten der Erfurter Mikroelektronik? Peter: „Das ist das absolute Negativbeispiel!“ Der muntere Moderator vom Thüringer Rundfunk, Michael Wenkel, übt sich: „Bisher ist das ja alles sehr moderat hier. Wann hatten Sie den letzten Krach, Herr Hesse?“ Der ist von den Freien Demokraten und sagt: „Hmm...“.

Na gut, um die Besetzung der Wahlvorstände für die Landtagswahl hat es Krach gegeben, die CDU habe zu viele. Andererseits, stellt sich heraus, daß das Wahlbündnis Grüne/Neues Forum/Vereinigte Linke bisher mangels Masse nur 18 der ihnen zustehenden Plätze besetzen konnte. Außerdem: „Der Konflikt ist bereinigt.“ Zur gesamtdeutschen Feierstunde am 3. Oktober, die die Abgeordneten aus eigener Tasche bezahlen wollen, gab es Streit mit der PDS, die nicht teilnimmt. „Offiziell“, räumt PDS-Mann Wolfgang Mühle ein, „wer will, kann trotzdem hingehen.“

Altenheime und Jugendzentren bangen um ihre Existenz, fürchten hohe Mieten und die Westbesitzer der Häuser. Mathias Ladstätter vom Neuen Forum: „Wir wollen soviel wie möglich erhalten. Aber was sollen wir machen, mit Geld, das nicht da ist?“ Da bleibt nur eins: „Gemeinsam Lösungen suchen.“ Auch für das riesige Opern- und Kongreßhaus, das als Stahlgerüst und „Müllers Rache“, Vermächtnis des einstigen SED-Oberen, als stählernes Ungetüm weithin sichtbar in der Innenstadt aufragt. Und für die Straßennamen, die „Straße der Waffenbrüderschaft“ zum Beispiel könnte gleich umbenannt werden. Nicht aber die Karl-Marx-Allee und Straßen, die nach antifaschistischen Widerstandskämpfern benannt wurden. Auch hier besteht allenthalben Konsens: Vorerst ist das sowieso alles viel zu teuer. CDU-Mann Knobloch muckst sich nicht.

Mathias Ladstätter versucht dann doch noch, zusammen mit den Kollegen von SPD und FDP, zu erklären, warum sie sich nicht streiten wollen und auch gar nicht können: „Wahlkampf darf nicht sein. Wir wollen der Stadt helfen!“ Man möchte es ihnen glauben. Die Erfurter und Erfurterinnen in der Innenstadt haben andere Hoffnungen. Das Hütchenspiel der Jugoslawen ist inzwischen abgelöst durch dichte Menschentrauben, die sich um die Verkäufer von Rubbellosen drängeln.