Kammermusik, vertraulich

■ Herbstakademie im Rathaus: Georg Faust, Solo-Cello

Die Rathaushalle als Wohnzimmer: In schon schummriger Beleuchtung begaben sich die ZuhörerInnen auf ihre Plätze, bildeten einen engen Halbkreis um Georg Faust und sein Cello. So entstand gleich das Gefühl, in einem vertrauten Kreis zu sitzen und mit großer Konzentration Kammermusik von hoher Intensität zu erleben. Der Solocellist der Berliner Philharmoniker verstärkte diesen Eindruck noch, indem er darum bat, auf Beifall zwischen den Werken zu verzichten und ihn für's Ende aufzusparen.

Da war mir schon wieder wohl dabei, daß die Umgebung uns des öfteren auf den Boden zurückholte. Durch die spannungsvolle Stille nach Alfred Schnittkes faszinierendem „Klingende Buchstaben“ rumpelte die Straßenbahn, die Domuhr schlug unentwegt, und in elegische Klänge einer Bach-Sarabande grölten gutgelaunte Freitagabend-Ausgänger. Eine widerspruchsvolle und hochinteresssante Mischung!

Den Löwenanteil am Programm hatten die 2. und die 6. Suite für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach. Alle sechs fordern technisch und musikalisch das Äußerste des Instruments und seiner SpielerInnen, besonders aber die letzte: Bach schrieb sie für ein Instrument mit einer zusätzlichen hohen e-Saite, das in hohen Lagen mehr klangliche Möglichkeiten und spielerische Leichtigkeit bieten sollte als das traditionelle viersaitige Cello. Faust spielte die Suite auf einem „normalen“ Cello. Der außergewöhnlich hohe Tonumfang des Stücks zwingt den Spieler praktisch permanent in extreme Lagen. Dabei verlor er nie die Kontrolle über Klang und Intonation. Die Bewegungscharaktere und Affekte der Tanzsätze stimmten: Die Gavotten hüpften in einem eleganten alla breve-Puls, die Allemande verzettelte sich nicht in den vordergründig raschen Notenwerten. Faust begriff sie als improvisatorische Umspielungen über einem ruhig dahinschreitenden Puls.

Deutlich, aber ohne Übertreibung trennte Georg Faust die unterschiedlichen Funktionen der Töne in Bachs zunächst gleichförmig erscheinenden „unendlichen“ Melodien. Ein Baßton, der das Fundament für die Entfaltung einer Linie bildet, erhält die nötige Schwere. Ein Spitzenton der Oberstimme, der erst später eine Fortsetzung findet, wird nachdrücklich herausgestellt und der Erinnerung eingeprägt.

Es ist schade, daß die modernen Cellisten — so auch Faust — die unvermeidbaren Zerlegungen von Akkorden immer nur als ein Übel betrachten und sich ihrer so rasch wie möglich entledigen wollen. Eine unnötige und häßliche Aggressivität ist die Folge. Noch ein Vorschlag: Die vier kurzen Studien aus B.A.Zimmermanns letztem Lebensjahr 1970 in ihrer äußersten Konzentriertheit waren schon nach wenigen Sekunden vorbei. Wäre hier nicht eine Wiederholung sinnvoll? Oder würde damit die Schroffheit der Gegensätze gemildert und ihre Wirkung zerstört? Axel Weidenfeld