Wo der Torwart hohe Bälle wirklich fängt

■ Zweite Liga, das isses! Blau-Weiß im Jahn-Sportpark, 2:0 gegen Darmstadt und der Reporter war endlich mal richtig zufrieden

Prenzlauer Berg. Hört, hört, die frohe Kunde! Es gibt tatsächlich noch angenehmes zu berichten über den Profifußball in Berlin. Die bisher so unbeachtet vor sich hin spielenden Blau-Weißen sorgen momentan für verdrehte Verhältnisse. Während die große Hertha in der ersten Bundesliga nur noch durch dilettantisches Ballgetrete für viel Spaß sorgt, herrscht bei den Blau-Weißen Friede, Freude und auch Eierkuchen. Zwar spielen sie eine Klasse tiefer, aber die zuletzt gezeigten Leistungen waren schon nett anzuschauen, was zu der gewagten Prognose führt, die Berliner demnächst mit zur Spitzengruppe der zweiten Liga zählen zu können.

Dabei sah zu Saisonbeginn alles nach dem Ende der Spielvereinigung Blau-Weiß 1890 aus. Nur mit großer Mühe erhielt der Verein eine Profi- Lizenz. Die dadurch bedingten Sparzwänge änderten auch im sportlichen Bereich einiges. Der Kader schrumpfte durch den Abgang von sieben Spielern auf 15 Profis. Damit und durch die beharrliche Suche nach kleineren Sponsoren wurden 700.000 DM eingespart und somit die Schulden auf unter eine Million Mark gedrückt. Was aber die finanzielle Lage längst nicht sichert. Zwar wird noch nicht einmal die Hälfte des Etats durch Eintrittsgelder bezahlt, doch selbst dafür sind es zuwenige, die die Blau-Weißen zu ihren Heimspielen locken können, meist gerade mal 1.000.

Trotzdem, „die Lage hat sich entspannt“, macht Manager Michael Sziedat ganz auf Optimismus. Weitere, zahlungskräftige Sponsoren seien in Sicht, „die längerfristige Planung hängt aber vom weiteren Saisonverlauf ab“. Und der scheint günstig voranzuschreiten. Gegen die Spitzenmannschaften Schalke, Homburg und Freiburg gaben die Blau-Weißen nur einen Punkt ab und schlichen sich nach dem jetzigen 2:0 über Darmstadt bis nach vorn.

Ort des Geschehens war zum zweiten Mal das kleine Jahn-Stadion am Prenzlauer Berg, welches bei den wenigen ZuschauerInnen eine angenehmere Atmosphäre bietet als das trostlose Olympiastadion. Falls der DFB einverstanden ist, werden die Blau-Weißen für den Rest der Saison dort logieren. Was sich, wie am Sonnabend, sicher günstig auswirkt.

Denn es herrschte, für Berliner Verhältnisse bemerkenswert, ausnahmslos entspannte Stimmung. Zum ersten erschienen doppelt so viele Menschen wie sonst, zum nächsten fallen die Blau-Weiß-Fans dadurch auf, daß sie keine Randale machen, und zum letzten bot die Mannschaft tatsächlich unterhaltsamen Fußball.

In der Abwehr beispielsweise gilt als sicher, daß Torwart Gehrke hohe Bälle wirklich fängt und der zum Libero umfunktionierte Drabow gemeinsam mit seinen Verteidigern die Raumdeckung beherrscht. Für Koordination und Effektivität im Mittelfeld sorgen drei Herren, die schon im reichlich fortgeschrittenen Fußballer-Alter stehen: Schlumberger, Ex-Libero Levy und der von Hertha BSC (sic!) abgeschobene Niebel. Alle drei beherrschten gegen Darmstadt die Kunst der gepflegten Ballbehandlung so gut, daß in Zusammenarbeit mit Motzke und Adler beide Tore durch pfiffige Kombinationen herausgespielt wurden.

Aber nun bloß nicht in Jubel, gar Euphorie verfallen. Zwar drückt Sziedat auf die diplomatische Tube, wenn es ihm am liebsten wäre, daß sein Verein mit Hertha in einer Liga spielte, doch es ist sicher, in welcher: der Zweiten. Neben den Blau-Weißen und Hertha gibt's eventuell auch den FCB und Union, wobei zwischen ersterer und letzterem schon über eine Fusion nachgedacht und verhandelt wird. Was sicher ein interessanter Zusammenschluß wäre; eine gute Mannschaft hier, zusammen mit dem traditionsreichen Namen, vielen Fans und einem reinen Fußballstadion dort.

Also endlich die Möglichkeit einer Alternative zu Hertha. Wie dann die Verhältnisse liegen könnten, zeigt das Beispiel, auf welche Weise beide Vereine Mailänder Trikotagen-Mode abgekupfert haben. Während die Hertha in rot-schwarz-gestreiftem AC Milan Look ein Spiel nach dem anderen verliert, ist Blau- Weiß in der schwarz-blauen Inter- Garderobe bisher ziemlich erfolgreich. Schmiernik