Wüste Schießerei im Bierzelt!

Beim Münchener Oktoberfest wird original auf der „Wies'n“ die Deutsche Meisterschaft im Armbrustschießen ausgetragen: erbitterter Streit um die Bolzen zwischen Bier und Kettenkarrusell  ■ Aus München der Steigemann Werner

Mit der traditionellen Zeremonie, dem Ruf „Ladzettul“, kündigt das Winzerer Fähndl, die über hundert Jahre alte Münchener Armbrust- Schützengilde, alljährlich sein umfangreiches Schießprogramm auf dem Oktoberfest an.

Neben der Deutschen Meisterschaft im Armbrustschießen wird hier auch der Wanderpreis des Deutschen Schützenbundes für die erfolgreichste Gilde ausgeschossen. Und zum Oktoberfest-Armbrust-Landessschießen zur Ermittlung des Landesschützenkönigs veranstaltet der rührige Münchener Traditionsverein zwei Wiesenwochen lang ein umfangreiches Wettkampf- und Kulturprogramm.

Ort der Ereignisse ist natürlich die Wies'n und die Sport- und Freizeitanlage des Winzerer Fähndls am Stadtrand von München in der Ortschaft Lochhausen. Dort, versteckt im Wald, befindet sich das Vereinsheim, auch „Winzererburg“ genannt, und die Schießbahn. Die Meisterschaften führten Kind und Kegel aller angereisten Mannschaften in die beschauliche Idylle, und man könnte vermuten, die Geselligkeit sei wichtiger als der Schießwettbewerb.

Doch hier wird ganz ernsthafter Sport betrieben. 250 Teilnehmer aller Altersklassen bewerben sich um die Deutsche Meisterschaft im Stern- und Scheibenschießen. Letzteres wird auf der Wies'n im Zelt ausgetragen, das Sternschießen auf der Lochhausener Anlage.

An einer 30 Meter hohen Stange sind sternförmig acht mal acht Zentimeter große Einzelscheiben, „Blattelt“ genannt, auf Stäben befestigt. Hier geht es um die Genauigkeit, mit der die Stäbe von unten getroffen werden sollen. Ein Schützenbruder verfolgt die Bahn des 120 Gramm schweren Bolzens, dessen horizontale Flugbahn bei 160 Meter liegen würde. Über die Zuschauer und die Konkurrenten wölbt sich ein Drahtnetzdach, das vor herabfallendem Holz schützt.

Diese Form des Armbrustschießens wird vor allem in Süddeutschland gepflegt. Das Gerät, eine 6,5 Kilogramm schwere Armbrust, wird heute noch nach festen Regeln und oft von Büchsenmachern gefertigt. Die Auswertung des Zielergebnises erfordert Geduld, Genauigkeit, Diskussionsbereitschaft der Schützen und ist für Laien nicht leicht durchschaubar. Durch die regionale Vorgabe bedeutet die Ermittlung des Landesschützen für Bayern mehr als die Deutsche Meisterschaft.

Die im Scheibenschießen, um die sich die Mehrheit der 250 Sportlehrer bewerben, entscheidet sich in nichts von Schießwettbewerben von Luft- oder Kleinkalibergewehren. Hierfür wird die sogenannte „Bätsch“-Armbrust benutzt. Sie unterliegt gewissen Beschränkungen. So sind Zielfernrohre, vergrößernde Gläser und Fadenkreuze verboten. Daß es für die Schützen selbst wirklich Sport ist, beweisen die verschwitzten und vor Anspannung eingefrorenen Gesichter nach der Vollendung ihrer zwanzig Schüsse in Folge, die die Höchstpunktzahl von 120 Ringen erbringen können.

Darüber hinaus wirkt die ungewohnte Umgebung eines Bierzeltes mit gröhlenden Trinkern und blecherner Blasmusik sicher nicht fördernd für die in diesem Sport notwendige Konzentration.

In schützendes schweres Leder gekleidet versuchen die Akteure den Bozen ins Ziel zu bringen. Hier ist nichts mehr von der Beschaulichkeit von Lochhausen zu bemerken, sondern echter Konkurrenzkampf und erbitterter Streit, ob ein Fünfer- oder Sechserring auf der vor einer Bleiplatte angebrachten Zielscheibe zu erkennen ist. Doch Deutscher Meister im Scheibenschießen wurde nicht — wie vermutet — einer vom Winzerer Fähndl, der die hektische Umgebung gewohnt ist, sondern ein Franke namens Zimmermann aus Altdorf. Die Münchener Ehre rettete der Altschütze Kustermann, der in seiner Klasse den Titel mit Höchstpunktzahl errang.

Damit durfte sich auch der Namenspatron, der Landknechtsführer Winzerer, zufrieden in seinem Grab zurecht gelegt haben, weiß er doch, daß die Tradition stimmt und kein Frauenrock die Meisterschaften verunsichert. Sie kochen Kaffee, bereiten das Essen vor, holen Bier oder trösten die gescheiterten Kämpfer. Aber dies ist ja nicht nur bei den Armbrustschützen so.