Wie die Volkskammer das Volk ausschloß

■ Das Stasi-Problem verführt die Parlamentarier zu dubiosen Machenschaften GASTKOMMENTAR

Wer geglaubt hatte, die „Nationale Front“ gehöre der Vergangenheit an, wurde auf der letzten Volkskammertagung in der DDR eines schlechteren belehrt. Dort kämpften die Altparteien im gewohnten Schulterschluß für ihr langjähriges Hätschelkind Staatssicherheit. Was beim gescheiterten Mißtrauensantrag gegen Innenminister Diestel schon mal geklappt hatte, sollte nun wiederholt werden: Obwohl vor laufenden Fernsehkameras die Namensnennung beschlossen, wurde sie unter Ausschluß der Öffentlichkeit hintertrieben. Gysi und de Maizière holten ein Argument nach dem anderen aus der juristischen Trickkiste, um den Untersuchungsausschuß und das Präsidium unter Druck zu setzen.

Dabei war die Beschlußlage eindeutig: Die Volkskammer hatte sich mehrheitlich dafür entschieden, den Prüfungsausschuß in der Frage der Namensnennung von seiner Schweigepflicht zu entbinden und dem Präsidium der Volkskammer die Namen zu nennen. Zuvor hatten die Fraktionsvorsitzenden und der Ministerpräsident die Liste mit den Namen der Personen aus dem zu ihrer Verantwortung gehörigen Bereich erhalten. Geschlossen weigerten sich die Fraktionsvorsitzenden der CDU, der Liberalen und der PDS sowie der Ministerpräsident „aus Gewissensgründen“, die Namen bekannzugeben. Dies konnte nur durchbrochen werden, weil Vizepräsident Dr. Ullmann, gestärkt durch unsere Fraktion Bündnis 90/Grüne, sich bereiterklärte, die Namen vor dem Präsidium zu verlesen und deshalb vom Ausschußvorsitzenden Peter Hildebrandt die Liste der Namen anforderte. Dies geschah — juristisch unangreifbar — unter Zeugen und führte schließlich dazu, daß die Namen endlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit verlesen wurden.

Was sich noch in der geschlossenen Sitzung abspielte, welchen Anfechtungen Dr. Ullmann und Peter Hildebrandt sich aussetzen mußten, ehe sie ihre Mission erfüllen konnten, darf ich nicht beschreiben. In einem Punkt aber kann ich aus Gewissensgründen nicht länger schweigen: Zu den Personen der Kategorie eins, also der Meistbelasteten, bei denen eine sofortige Niederlegung des Mandats erfolgen sollte, gehört Umweltminister Steinberg.

Werner Fischer hatte sich vor reichlich 14 Tagen aus Verantwortungsbewußtsein entschlossen, mit diesem Namen an die Öffentlichkeit zu gehen. Daraufhin setzte eine Kampagne ein, die ihn unglaubwürdig machen sollte, in der z.B. Rainer Eppelmann als angeblicher Stasi-Mitarbeiter ins böse Spiel gebracht wurde. Seit dem 13.September weiß Lothar de Maizière, daß Werner Fischer recht hatte und sein Umweltminister Mitarbeiter der Staatssicherheit war. Er hat ihn im Amt gelassen und sich dadurch mitschuldig gemacht. So konnte es auch geschehen, daß an dem Tag, an dem die Volkskammer vom geheimdienstlichen Wirken des Ministers erfuhr, in der Presse Berichte über eine Pressekonferenz erschienen, wonach Steinberg wesentliche Verbesserungen in der Umweltsituation der DDR, die während seiner Amtszeit erreicht worden seien, sich und seiner Arbeit zuschrieb. Unter anderem hielt er sich das Nationalpark-Programm zugute, das seinerzeit von Prof. Succow und seinen Mitarbeitern entwickelt worden war, die Steinberg zu Beginn seiner Amtszeit schaßte.

Was Steinberg zu seiner Verteidigung zu sagen hat, bleibt abzuwarten. Werner Fischer kann aber nicht zugemutet werden, daß ein Makel auf seinem Namen bleibt, bis der Minister sich vielleicht eines Tages entschließt, Stellung zu nehmen. Die letzte Volkskammersitzung hat gezeigt, wie weit der Weg ist, den wir zur Bewältigung unserer Vergangenheit zurückzulegen haben. Ihre Auswertung ist noch längst nicht abgeschlossen. Vera Wollenberger

Die Autorin ist Fraktionssprecherin des Bündnis 90/Grüne in der Volkskammer