Die Citoyennes wollen eine eigene Verfassung

Der Kongreß „Frauen für eine neue Verfassung“ tagte in Frankfurt a.M./ Wie kann das Selbstbestimmungsrecht, zum Beispiel bei Abtreibungen, abgesichert werden?/ Auch Gedankenspiele zu nach Geschlechtern getrennten, paritätischen Regierungen  ■ Von Heide Platen

Frankfurt (taz) — Nach zwölf Stunden faßte die Professorin Ute Gerhard zusammen: „Heute gibt es kein Manifest mehr. Das wäre tollkühn!“ Die neue Verfassungsgebende Versammlung beendete ihren Kongreß in der Frankfurter Paulskirche mit dem Festschreiben eines großen Konsenses und weniger differenter Punkte. Das Treffen hatte nichts gemein mit der ersten deutschen Nationalversammlung, die hier 1848/49 getagt hatte — und verstand sich dennoch in deren Tradition. Die historisch überlieferten Streitereien der „Verfassungsväter“ allerdings ließen die rund 200 Frauen aus. Sie hörten fünfzehn Referate und diskutierten auf der Grundlage des „Frankfurter Frauenmanifests“ den Entwurf einer weiblichen Verfassung — es wäre weltweit die erste.

Juristinnen, Naturwissenschaftlerinnen, Soziologinnen, Gewerkschafterinnen versuchten, Anworten auf drei Fragenkomplexe zu finden: Welche verfassungsrechtlichen Garantien erfordert die Verwirklichung der Gleichberechtigung, welche Absicherung braucht das Selbstbestimmungsrecht, was überhaupt ist eine „weibliche“ Verfassung? Den provokantesten Vortrag des Tages stellte die Rechtsanwältin Brigitte Laubach zur Diskussion, als sie in Kommunen, Bund und Ländern ein „Zwei-Kammer-System“ — getrennt für Männer und Frauen — vorschlug. Sie sei dafür, „die Macht zu teilen“. „Einheit“ sei schließlich eine Männer-Metapher. „Die Citoyenne“ brauche „vorübergehend oder auf Dauer ein entschiedenes Maß an Seperatismus“, quer zu allen parteiorientierten Abstimmungen. „Gleichberechtigung“, so hatten die Autorinnen der Verfassung den Ausgangspunkt dieser Überlegungen formuliert, „heißt auch Gleichheit und Anerkennung von Verschiedenheit.“ Fest in der Verfassung verankert wollten die Frauen eine Volksabstimmung wissen, die, zum Beispiel zum §218, zulasse, daß ausschließlich Frauen über ihre eigenen Angelegenheiten entscheiden.

Gestritten wurde um die vorgeschlagene Erweiterung des Artikels 4: „Jede Frau hat das Recht, nach ihrem Gewissen zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht.“ Während die Juristin Monika Frommel aus rechtstaktischen Erwägung für diese Formulierung plädierte, stellte Heide Hering von der Humanistischen Union für sich fest: „Es kommt nicht auf das Gewissen der Frauen, sondern auf ihre Lebenssituation an.“ Die Frauen, denen das weibliche „Gewissen“ im Gesetz Unbehagen bereitete, schlugen alternativ dazu vor, das Recht auf Abtreibung in einem eigenen Artikel zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu verankern. Ähnlich kontrovers diskutierten die Frauen nur noch um Artikel 6, der in einem dritten Absatz den staatlichen Schutz von „auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften“ festschreibt. Die Berliner Justizsenatorin, Jutta Limbach, die diese Passage mitverantwortete, differenzierte. Sie habe damit nur die Eltern-Kind-Beziehung gemeint. Als „Familie“ und damit schützenswert sehe sie nicht die bürgerliche Ehe an, sondern nur Lebensgemeinschaften, „in denen Kinder großgezogen werden“. In der Umkehrung und vor dem Hintergrund der Gen- Technologie zog die Juristin Claudia Burgsmüller den Schluß: „Es gibt kein Recht auf ein Kind. Es gibt kein Recht auf Fortpflanzung!“ Burgsmüller: „Auch Kinder haben ist heute ein Akt des erhöhten Egoismus.“ Sie wandte sich ebenso energisch wie die Soziologin Renate Sadrozinski gegen ein Ausspielen der Frauen gegen ihre ungeborenen Kinder. Sadrozinski: „Dann steht eine Frau, die ungewollt schwanger ist, im Krieg mit ihrem Körper.“ Burgsmüller spitzte dies mit „einem Vorschlag aus der Gen- und Repro- Szene“ zu: „Die Frau ist ihr Embryo!“ Einig waren sich die Frauen darin, daß ihre Verfassung den Staat verpflichten muß, „Rahmenbedingungen“ für die Teilung der unbezahlten, gesellschaftlichen Reproduktionsarbeit zwischen Männern und Frauen zu schaffen. Die Arbeitsrechtsprofessorin und Berliner Bundessenatorin Heide Pfarr hatte sich vorher gegen den Begriff der Quotierung in der Verfassung gewandt. Quotierung sei kein „Allheilmittel“, sondern immer nur eine „bedingte und befristete Krücke.“

Verlegenheit löste gegen Ende der Versammlung die Frage einer Teilnehmerin aus, warum in der weiblichen Verfassung die alten Menschen kaum sichtbar sind. Ute Gerhard: „Da müssen wir nachbessern.“ Dies soll auch in den „sehr offenen Bereichen“ AusländerInnenrechte, Ausbeutung der Dritten Welt, Friedenssicherung, Kultur, künftige föderative Strukturen einer globalen Gesellschaft geschehen. Der nächste Kongreß soll in Berlin oder in der DDR stattfinden. Die Protokolle des Treffens und eine überarbeitete Manifest-Fassung können dazu beim Frankfurter Frauenreferat bestellt werden.