Ab in die Anpassung

■ Wie ich eine Deutsche erster Klasse werden will ZUR SACHE

Alles bis jetzt war nur Vorgeplänkel. Trainingszeit. Man hat uns Ostler in diesen paar Monaten geschont. Wir durften probieren, auch mal Fehler machen, ein bißchen dilettantisch und unbeholfen wirken. Unsere Brüder und Schwestern haben nachsichtig drüber hinweggesehen, uns übers Haar gestreichelt und gedacht: Es wird schon werden — und leicht beunruhigt festgestellt, daß man uns immer weniger gleich auf den ersten Blick an den praktischen, aber potthäßlichen Stoffbeuteln erkennt. Aber ab morgen beginnt sozusagen der Ernst des Lebens, eines neuen, eines freieren Lebens, da wird es kein Pardon mehr geben. Das können wir uns als deutsche Nation nicht mehr leisten. Wie sieht das auch aus, wenn ständig ein Viertel des deutschen Volkes das Ansehen der ganzen, nun glücklich vereinten Nation versaut.

Natürlich ist es nicht so leicht, plötzlich ein Westler zu sein, diese geduckte Haltung, den gesenkten Blick und vor allem das merkwürdige Idiom in unserer Sprache abzulegen, aber angesichts dieses historischen Ereignisses sollte ein jeder von uns doch das kleine persönliche Opfer bringen können. Ich jedenfalls werde mich dieser Aufgabe, dem Ruf der deutschen Nation gerecht zu werden, stellen. Ich werde meine Minderwertigkeitskomplexe abstreifen genauso wie diese fürchterlich formlosen Jeans, die wir alle getragen haben. Ich werde lernen, die Wörter Feedback, Selbstverwirklichung, Knackpunkt, Looser und Brainstorming in meine Konversation einzubauen. Nur mit einer Sache klappt es scheinbar schon jetzt ganz gut: Der Orgasmus gelingt uns Ostfrauen öfter. Dafür hatten wir wohl in der vierzigjährigen Trödelei in unserer Nische mehr Zeit. Und den Rest schaffen wir mit ein bißchen Disziplin auch noch. Anja Baum