»Ich werde mich in mein Bett verkriechen ...«

■ Die Vereinigungsfeierlichkeiten und die Frage: Was machen Sie am 3. Oktober?/ Antworten zwischen Angst und Freude

Berlin. Der historischste Tag in dieser sowieso schon ungeheuer historischen Zeit steht nun unwiderruflich vor der Tür. Doch nicht nur eitel Freude ist es, was die Menschen in dieser Zeit bewegt. Die taz befragte einige vom Vereinigungstag unmittelbar Betroffene, wie sie den Jubeltag begehen werden.

Annetta Kahane, Ausländerbeauftragte beim Magistrat:

Ich weiß es immer noch nicht genau. Da gibt es verschiedene Varianten, und es sind ja auch zwei Nächte, die gefeiert werden können. Da gibt es die eine Variante, und die heißt, fluchtartig die Stadt zu verlassen und mit ganz wenigen sehr guten Freunden in einem einsamen Landhaus mitten in der deutschen Landschaft schönen Wein zu trinken. Die zweite Variante ist, unser Büro die ganze Nacht offenzuhalten. Wir wollen einmal ein Nottelefon aufrechterhalten, denn sehr viele Ausländer haben schlicht Angst, und da können wir vielleicht helfen. Aber vielleicht können wir auch zusammen mit den Ausländern feiern, denn das sind ja auch Menschen die in Deutschland leben, und wir möchten sie einbeziehen. Bis jetzt haben die DDR-Bürger immer nur mit Ausländern gearbeitet, jetzt sollte man auch zusammen feiern.

Hasar Konzynk, griechischer Imbißbudenbesitzer in Charlottenburg:

Ich habe mein Geschäft geschlossen und feiere mit Freunden zu Hause. Wir singen alle sonst im griechischen Kirchenchor, jetzt singen wir griechische Volkslieder. Ich habe extra meine Gitarre heil machen lassen.

Manfred Stephan, Rentner aus Treptow:

Wir werden feiern. Mein Bruder ist aus Lübeck nach Berlin gekommen, da werden wir dann von Treptow aus losgehen, um mitzufeiern.

Tyrcin Gürvit, libanesischer Blumenverkäufer in Charlottenburg.

Hoffentlich gutes Geschäft, aber es ist gut, wenn Deutschland zusammen ist. Dann ist man stärker. Angst habe ich nicht, aber in Charlottenburg ist es auch nicht so wie auf dem Alexanderplatz.

Evelin und Siegbert Riedel aus Ost-Berlin:

Wir werden die Nacht vom zweiten zum dritten Oktober durchfeiern. Auch wenn wir nur Zugereiste sind, fühlen wir uns doch als Berliner. Es ist doch schön, daß wir das noch erleben konnten, woran wir doch eigentlich kaum glauben durften.

Hynang Voc, früher vietnamesische Arbeiterin auf dem Schlachthof, jetzt Zigarettenverkäuferin auf dem Alex:

Ich habe furchtbare Angst. Ich werde mich in mein Bett im Arbeiterwohnheim verkriechen und alle Türen zuschließen. Der Magistrat hat vor unserer Haustür einen Polizisten bestellt, hoffentlich kann der uns schützen. Ein Arbeitskollege von mir ist gestern auf dem Hauptbahnhof blutig geschlagen worden.

Thomas Lohmeier, Polizeibeamter aus West-Berlin:

Mit feiern wird wohl nicht viel sein. Ich schätze, ich werde die gesamte Zeit arbeiten müssen.

Familie Kämpfhäger aus Aue im Erzgebirge:

Wir sind auf Urlaub hier und wollen noch bis zum Mittwoch hierbleiben. Natürlich werden wir auch mitfeiern, das ist doch klar. Das alles hier in Berlin miterleben zu können ist doch schön.

Günter Götze, Regelmechaniker aus Beeskow:

Ich werde höchstwahrscheinlich mit meiner Frau nach Berlin fahren und mitfeiern. Allerdings sind wir auch ein wenig skeptisch — es wird bestimmt einiges los sein hier. Schließlich ist es ja nicht ganz unwahrscheinlich, daß es Randale gibt.

Aignor Mansona, Mosambikaner, bis zum 1. Oktober Arbeiter im ehmaligen Tiefbaukombinat:

Der Tag geht mich nichts an. Das ist der Tag der Deutschen. Ich werde ja nicht mehr gebraucht, und keiner fragt nach uns. Ich bleibe im Wohnheim und gehe keinen Schritt vor die Tür. Wir haben einen Selbstschutz organisiert.

Libby Bunn, amerikanische Studentin und Jobberin, früher West-, jetzt Ost-Berlin:

Daß ich jetzt im Osten wohnen kann und überall hin, finde ich toll. Aber dieses patriotische Geschrei ist einfach ekelhaft. Ich gehe zur Demonstration »Tag der deutschen Gemeinheit«.

Frau Köpke aus Ost-Berlin:

Wir werden uns eine Flasche Sekt einpacken und zum Brandenburger Tor gehen. Obwohl ich, ehrlich gesagt, ein wenig Angst vor dem habe, was auf uns zukommt. Im Moment bin ich noch im Mutterjahr, und werde erst im Oktober wieder anfangen zu arbeiten.

Karl Sebulok aus Hamburg:

Am dritten Oktober mache ich gar nichts. Natürlich freue ich mich über die Wiedervereinigung — aber die Freude ist doch mehr innerlich. Der Trubel ist mir nichts.

Mira von Senkbach, Fotografin aus Ost-Berlin:

Natürlich werde ich versuchen, überall dabei zu sein. Seit Monaten fotografiere ich wie ein Weltmeister, ich möchte ein Buch, »Gesichter wenden sich«, machen. Jetzt ist ja alles nur noch inszeniert, und die Menschen feiern nur noch auf Kommando. Sie grinsen, aber die Augen bleiben kalt und das Herz auch. Befragung: Anita Kugler/

Olaf Kampmann