bollwerk der armut, uckermark

das wichtige ist die landschaft. falle ich frühs aus dem land meiner träume und tappe durch den herbstnebel des hofes zum sonnenaufgangsklo, steh manchesmal still ich und staune, nie ärger zu empfinden, in der mark erwacht zu sein. ich weiß hier keine höhen und tiefen. alles ist gerundet, gefegt von den füßen der schafe, rindviecher, pferde und menschen, ohne ihr anzusehen, was wir ihr angetan.

hier marodierten die schweden im dreißigjährigen krieg, nix blieb von ihnen, außer ein niemals zu löschender durst. sollten auch hier einst die außerirdischen graben, werden sie mit gram erstickten stimmen rufen: ha, leere kornflaschen, das war die mark.

über die westfalen wird gesprochen, daß sie wurden, als der liebe gott über ne eichenwurzel stolperte. bei uns zerlatschte er ne stasiwanze.

die neugegründete feuerwehr meines dorfes fuhr, nachdem wir unsere montagsdemos hinter uns hatten, begonnen aber erst und schön in der dorfschenke, als die leipziger sich längst dem kommerz hingaben, im roten auto los, in hamburg nachzuschauen, wie dort gevögelt wird. jetzt wissen wir bescheid.

bani, der dungfahrer, wurde vorige woche an seinem neununddreißigsten geburtstag entlassen. jetzt hat er muße, am rande des ackers, dem er so fluchte, die wahrheit zu sagen: ich liebe dich. aber immer mal die straße zum dorf hinanzuschaun, dahin die andere liebe, martina aus dem schweinestall, auf seinem fahrrad nach budapest fuhr. aber etwas tröstet ihn: in lindenhagen wurden schon tage vor ihm jene bauern in die freiheit entlassen, von zwei genossen, gegen die sie, im trüben monat november wars, gar gewaltig ihre fressen aufgerissen. der letzte von ihnen, der als erster vors parteibüro taumelte, fliegt, ist die zuckerrübe geerntet. und wann auch die letzte zu zucker und schnipsel in prenzlau verzaubert ist, schließt die fabrik.

als wir, also ich und neun oder elf bauern, den tag der deutschen einheit probten, und ich um mitternacht hitler spielen wollte, waren die requisiten vergraben.

zum hitler spielen brauchten wir wenig. einen, der mit nem lausekamm zwischen nase und unterlippe wie adolfen aussieht, das tun hier die meisten, dazu zum höhepunkt einen SS stahlhelm. die sind im himmlerwald hinter dem lauischen pfuhl immer mal zu finden. unser spiel ging so: wars in unseren schädeln leidlich dunkel vom blauen würger, der stammarke der schnapsbrennerei in neubrandenburg, setzten wir kurt, den schmied, aufs sofa, kämmten ihm einen hitlerscheitel und klemmten ihm das schwarze kämmchen unter. dann trat immer mal einer von uns vor ihn, stellte sich, brust raus, stramm und rief: was mein führer wünschest du? und er pflegte, indem er uns den SS helm auf die rübe dengelte, uns richtung tripolis oder leipzig zu kommandieren. jetzt hoffte ich, in die wüste auf die araber losgelassen zu werden, aber kurt und meine brüder teilten mir nüchtern mit, daß hitler niemalen war, was sie dachten und rommel eh der letzte arsch.

alles ist ein bissel liberal geworden. hinter akurat verschlossenen toren schnappen flugenten nach fetten fliegen auf misthaufen, die heuer besonders hoch geraten sind. dazwischen, liderlich wie schwalbenflug, ne mistkarre und frau merkeln, fäuste in die hüfte gestemmt, der knopp der kittelschürze überm bauch hält noch, ist bei, einen schlauen plan auszuhecken: die gründung des ersten märkischen schlucksaloons. sie ahnt nicht mal, daß just heut in der früh, paar meter näher an berlin, schon einer eröffnet hat: frau schüler in lindenhagen. ein dorf der dörfer und alles samt und seide. die armut der mark in der stasizeit war das bollwerk gegen disneyland. paul gratzik