„Steige hoch, du roter Adler“

Unter den Sozialdemokraten spannt sich das Netz der großen Koalition — Bürgerbewegungen am Boden  ■ Irina Grabowski

Das SPD-Rot flammte schon von den Werbeflächen im brandenburger Land, da hatten die Konkurrenten kaum Schwung geholt für den dritten Wahlkampf in Folge. Und allgegenwärtig blickt ein grauharriger Mann volksverbunden von den Straßenlaternen herab: Manfred Stolpe, Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche, behauptet Platz 1 auf der SPD-Liste. Ihm zur Seite steht das soziale Gewissen der Regierung de Maizière: Ex-Ministerin Regine Hildebrandt. Stolpe selbst ist kein „Pfaff“, der auszog, die Politik zu christianisieren, sondern ein alter Hase in diesem Geschäft, geschult an der oppositionellen Verbundenheit mit den Bürgerrechtlern in den eigenen Gemeinden und dem SED- Staatssekretariat für Kirchenfragen in Person von Altmeister Klaus Gysi.

„Steige hoch du roter Adler“ heißt es in der alten Brandenburger Hymne — nur in diesem Land auf dem Gebiet der DDR könnten die Sozialdemokraten nach einer Prognose des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung die Mehrheitsprozente erreichen. „Schwarze Zahlen“ aber trüben vor allem im traditionell konservativen Süden, zwischen Brandenburg und Cottbus, den greifbaren Erfolg. Bei den Kommunalwahlen hat die CDU dort mit 32 bis 34 Prozent abgeräumt. Dem sparsamen Innenleben der SPD steht das ausgewachsene Gerüst der Altpartei (17.000 Mitglieder in über 40 Kreisverbänden) gegenüber. Innenminister Diestel setzt als Spitzenkandidat der Union nicht auf lärmende Kraftprobe, sondern — gemäß CDU- Wahltaktik — auf das „wohltuende“ Gespräch mit den Bürgern. Ohne ermüdende Intelligenz bespricht er die sozialen Wunden seiner Klientel — Diestel kommt an als einer, der es geschafft hat. „Zum Landesvater“, kokettiert er, „fehlen mir die grauen Haare“. Und die Prozente. Die Herren Diestel und Stolpe vermeiden es, deshalb keifernd dem anderen die Butter vom Brot zu nehmen. Sie verbindet ein höheres Ziel. „Die große Koalition ist gelaufen“, beerdigt der Spitzenkandidat vom Bündnis 90, Günter Nooke, einen Teil seiner bürgerbewegenden Träume. Das Bündnis mit der CDU werde von der Vernunft empfohlen, meint Stolpe. Doch er vergißt nicht, sich auch nach der anderen Seite zu verbeugen. Dem PDS-Spitzenkandidaten Lothar Bisky, der erst in der letzten Woche vor den Wahlen mit seinem karikierten Konterfei in die Offensive gehen will, gibt er freundschaftlich zu bedenken, daß das wahltaktisch unklug sei. Der PDS, die ihre Hochburgen in Frankfurt und Eisenhüttenstadt hat, wird ein Wahlergebnis von 12 Prozent prognostiziert.

Auch den Bürgerbewegungen an der Basis will Stolpe nur Gutes. Sie müßten verfassungsrechtlich geschützt und von den Verantwortlichen nicht als lästiger Störfaktor behandelt werden. „Der Begriff Demokratie ist auf dem Gebiet der DDR nicht mehr nur durch Wahlen zu verwirklichen“, philosophiert er.

Den Kirchenoberen und seine Sprüche kennt Günter Nooke aus seiner Arbeit im Ökumenischen Friedenskreis in Forst. In der Stadt an der Neiße hatte der studierte Physiker den Demokratischen Aufbruch mitbegründet. Bei den Maiwahlen, als Nooke schon für das Bündnis 90 in der Volkskammer stritt, kam die Nachwirkung seines Engagements: 33 Prozent der Stimmen fing die Eppelmann-Partei, der landesweit kaum Ressonanz beschieden war. Ebenso wie die Demokratische Bauernpartei Deutschlands, die in Brandenburg 5 bis 10 Prozent der Wählerschaft binden konnte, ging der DA mittlerweile als „Erneuerungspotential“ in die CDU ein.

Die Bürgerbewegungen in Brandenburg haben die Chance für einen breiten Zusammenschluß vertan. Gespalten in „Bündnis 90“, unter diesem Namen treten das Neue Forum und Demokratie Jetzt an, und in die „Liste Grüne Partei/Senioren/ Unabhängiger Frauenverband“ kann die Fünf-Prozent-Hürde das parlamentarische Aus bedeuten. Etwas entspannter widmen sich die Freien Demokraten diesem Problem. Ein liberales Brandenburg ist nach ihrem Slogan eh das beste für uns, doch als „Rucksack“ für eine SPD-CDU-Koalition wollen sie sich nicht verkaufen.