Leben hinter den feindlichen Linien

Weit mehr als eine Million ägyptischer Gastarbeiter im Irak sind zwischen die Fronten geraten/ UN-Embargo entzieht ihnen die Lebensgrundlage — und ihre Bankkonten wurden gesperrt  ■ Aus Bagdad Thomas Dreger

„Kein Kommentar!“ Der Mann im grauen Flanellanzug, der eben aus der ägyptischen Botschaft kommt, ist entschlossen, so schnell wie möglich in seinen weißen Mercedes mit CD- Kennzeichen zu steigen und davonzufahren. Kein Kommentar zur Lage der Ägypter im Irak, kein Kommentar, ob die Botschaft ihren Bürgern im Lande rate, den Irak zu verlassen oder nicht. Noch nicht einmal zur Anzahl der Ägypter im Irak will der eilige Mann genaue Angaben machen. Nur soviel sagt er: „Das ägyptische und das irakische Volk sind befreundet.“

Der Iraker, der die Szene zufällig mit angesehen hat, beugt sich zu mir herüber: „Das war der ägyptische Konsul. Dem darfst du kein Wort glauben.“ „Warum?“ „Der ist ein Gesandter von Husni. Husni aber unterstützt die Amerikaner und ist ein Feind des Islam.“ Husni steht für den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. In den irakischen Zeitungen wird allerdings seit einigen Wochen sein Nachnahme unterschlagen. Denn Mubarak bedeutet „der Gesegnete“, und das paßt nicht zu einem „Feind des Islam“.

Die Annexion Kuwaits machte aus den ehemaligen Bruderländern Ägypten und Irak Feinde. An der kuwaitisch-saudischen Grenze stehen sich irakische und ägyptische Soldaten gegenüber. Die ägyptische Botschaft in Bagdad ist so praktisch zur Bastion hinter den feindlichen Linien geworden. Hinter den feindlichen Linien befindet sich aber nicht nur das durch diplomatische Immunität geschützte ägyptische Botschaftspersonal, sondern dort lebt auch eine große Anzahl ägyptischer Arbeiter. Die Gastarbeiter vom Nil bildeten vor der Invasion die größte Gruppe von Ausländern im Irak. Mindestens zwei Millionen Ägypter arbeiteten damals im Zweistromland. Zur Zeit des iranisch-irakischen Krieges waren es noch mehr. Während der Großteil der männlichen Iraker an der Front war, übernahmen Ägypter das Dienstleistungsgewerbe. Ägypten, das bevölkerungsreichste arabische Land, konnte seine Volksmassen nicht ernähren, und so zogen sie aus, nach Jordanien, an den Golf und eben in den Irak.

Als Husni Mubarak Truppen nach Saudi-Arabien schickte, fürchteten viele Ägypter im Irak, nun als Feinde behandelt zu werden. Saddam Hussein erklärte jedoch, die Ägypter seien arabische Brüder und nicht für die Politik ihrer Regierung verantwortlich. Am 17. August demonstrierten im Bagdader Botschaftviertel Mansur einige hundert Ägypter gegen Mubarak. Die meisten Ägypter im Irak indes wollen mit Politik nichts zu tun haben. Der Friseur Ziad: „Ich bin hierher gekommen, weil ich hier genug zu essen bekomme. Über Politik rede ich nicht. Weder hier, noch in Ägypten.“

Die Wirtschaftsblockade gegen den Irak entzieht den ausländischen Arbeitskräften die Lebensgrundlage. Ahmed, Kellner in einer Hotelbar, fragt: „Wie soll ich mit ein paar Kilo Mehl oder einer Tüte Reis im Monat leben? In den nächsten zwei Wochen werde ich das Land verlassen.“ Zu den wirtschaftlichen Sorgen kommt noch die Angst, im Kriegsfalle von amerikanischen und ägyptischen Flugzeugen beschossen zu werden. Dennoch fällt Ahmed die Entscheidung, den Irak zu verlassen, nicht leicht: „Wenn ich fahre, muß ich 10.000 Dollar zurücklassen. Ich habe hier fünf Jahre gearbeitet und alles Geld auf einer Bank deponiert. Aber jetzt sind die Konten von Ausländern im Irak gesperrt.“

Dennoch hat Ahmed vergleichsweise Glück. Er hat schon einen neuen Job in einem Hotel in Bahrein. Aber die meisten Ägypter, die den Irak verlassen, fahren in eine ungewisse Zukunft. Mohammed, ein ägyptischer Arbeiter, meint: „Neunzig Prozent der Ägypter, die hier leben, stammen aus kleinen Dörfern. Wenn die alle zurückkehren, gibt es eine Katastrophe. Für die gibt es keine Arbeit und auch nichts zu essen, trotz aller Hilfe aus Amerika und Europa.“ Mohammed hat daher beschlossen, im Irak zu bleiben.

Wieviele Ägypter jedoch inzwischen ausgereist sind, läßt sich nur schätzen. Inoffiziellen Angaben aus der Kairoer Botschaft zufolge sind inzwischen mehr als eine Million Ägypter in ihre Heimat zurückgekehrt. Amerikanische Quellen sprechen dagegen nur von 250.000. Die sonst von Ägyptern besuchten Teehäuser und Bars sind merklich leerer geworden, und in einem Hotel, in dem früher mehrere hundert Ägypter arbeiteten, sieht man jetzt nur noch ein Dutzend. Die meisten Ägypter würden gerne gehen, wissen aber nicht wohin und wollen auch nicht ihr ganzes Vermögen zurücklassen. Die irakische Regierung befürchtet, daß ohne Ägypter etliche Teile der zivilen Wirtschaft nicht mehr funktionieren wird, denn schon wie zur Zeit des irakisch-iranischen Krieges sind die irakischen Männer auch jetzt wieder beim Militär.

Das Interesse der ägyptischen Regierung, zwei Millionen Bürger mehr im Land zu haben, ist gering. Ahmed äußert resigniert: „Wir können jederzeit zu unserer Botschaft gehen, aber wozu?“ Mohammed war seit Monaten nicht mehr auf der Botschaft, denn: „Die Botschaft interessiert unsere Lage nicht. Es gibt zu viele Ägypter und denen ist es nur recht, wenn es ein paar weniger werden.“