Schnapsflaschen gegen Sowjet-Pistolen

■ Die Marktwirtschaft hat die Kasernen der sowjetischen Armee erreicht

Jügerbog (taz) — Auf einem Tapetentisch stehen, in Reih und Glied wie beim Exerzieren, Schnapsflaschen. Hinter der Alkoholbatterie agiert ein schwarzhaariger Mann mittleren Alters und unbekannter Nationalität. Davor drängeln sich sowjetische Soldaten, Offiziere vor allem. Links vom Schnapsverkäufer handelt ein Pole mit „Ghettoblasters“, überdimensionierten Kassettenrekordern, rechts verkaufen DDR-Deutsche Einweg-Feuerzeuge und Margarine Marke „Blauband“. Der Kapitalismus hat das Herz der „Westgruppe der Streitkräfte“ erreicht. Mitten auf sowjetischem Militärgelände, zwischen Kasernen und Übungsgelände, machen die Vvorboten der Marktwirtschaft Geschäfte mit Angehörigen der Elitetruppen der Roten Armee. Der Markt, ein lehmiger Parkplatz, ist groß und rechteckig, der Boden schwarz. Der Handel ist es auch.

Altes Lager heißt der riesige Truppenstützpunkt westlich von Jüterbog in Brandenburg. Pausenlos donnern sowjetische Militärtransporter über die Hauptstraße. Von den Kasernenmauern bröckelt der Putz. Hohe, windschiefe Mauern umschließen große Teile des Geländes. Der Parkplatz ist frei zugänglich.

Für die 25 Mark Sold im Monat kann sich der einfache Soldat keinen Ghettoblaster leisten. Der ist was für Leutnants und Offiziere, die auf mindestens 800 Mark kommen.

Für die sowjetischen Soldaten, die wohl derzeit ärmsten Bewohner auf deutschem Boden, kommen kleinformatige Pornohefte in Frage, die die Verlierer von einst den armen Siegern verhökern und die zu Hause einen unerhörten Reichtum darstellen. Wenn er viel spart, reicht es vielleicht für die Jeans-Produktion unbekannter Herkunft, die von Vietnamesinnen auf dem Markt von Jüterbog feilgeboten werden. In Altes Lager sind es vor allem Polen und Polinnen, die das Geschäft machen. Aber auch Deutsche aus Ost und West bedienen die neuen Kunden. Was die „ruhmreiche Sowjetarmee“ erreicht, ist der Ramsch des Kapitalismus, eingekauft von geschäftstüchtigen In- und Ausländern in West-Berlin, im Lada oder VW-Passat nach Altes Lager gebracht und dort rasch verhökert. Und die Soldaten sind fasziniert. Was Versorgungsmängel und Rekrutendrill nicht erreicht haben, gelingt da im Handumdrehen: die vielgerühmte Moral geht flöten. Eine Armee pfeift auf Disziplin und verhökert Soldatenmützen gegen Feuerzeuge mit Reklamebildchen. Auch eine Form der Abrüstung.

Wenn es dabei bliebe. Eine Kalaschnikow wird derzeit für runde 1.000 Mark gehandelt, ist zu hören. Komplette Panzer sollen verschwunden sein. Fünf Minuten Verhandlungen sind nötig, dann sind sich Schnapsverkäufer und Sowjet-Soldaten einig. Eine schwarze Pistole liegt in der Hand des Händlers, die Soldaten packen Flaschen ein. Klaus Hillenbrand