Schonzeit für Homo-Beamte vorbei

■ Tagung des »Referats für gleichgeschlechtliche Lebensweisen« war Anlaß für umfassende Kritik/ Will die AL die Homo-Behörde wieder abschaffen?/ Anregungen aus dem europäischen Ausland

Berlin. Knapp ein Jahr nach der Einrichtung des »Referats für gleichgeschlechtliche Lebensweisen« in der Senatsfamilienverwaltung wird in der Homoszene bereits über seine Abschaffung diskutiert. Denn mit dem Verblassen seiner Symbolwirkung lassen sich zum einen seine minimalen Kompetenzen nicht länger verstecken, zum anderen häufen sich Konflikte zwischen MitarbeiterInnen und Initiatoren. Hauptkritikpunkt des schwulen AL-Abgeordneten Dieter Telge ist die fehlende Basisnähe: »Über die Kompetenzen wird zwar mit dem Ausland und der CDU, nicht aber mit den Projekten der Stadt geredet.«

Telge spielt damit auf eine Tagung an, auf der seit Mittwoch Gleichstellungsbeamte aus Holland, Großbritannien und Norwegen über »Aspekte lesbischer und schwuler Emanzipation in Kommunalverwaltungen« referieren. Von den Berichten der ausländischen KollegInnen erhofft sich die Organisatorin Ilse Kokula Anregungen für ihre Arbeit. Ihr geht es — um Fehler der anderen nicht zu wiederholen — vor allem um taktische Fragen im Umgang mit Bürokratie. Konkrete Anstöße erhielt sie vom »lesbian officers« aus London, wo auch Informationen für ausländische Lesben erteilt werden.

Heute, am letzten Tagungstag, ist von zehn bis 17 Uhr auch die Öffentlichkeit zum Zuhören geladen. (Ort: CEDEFOP, Bundesallee 22). Die »allgemeine Aussprache« allerdings beschränkt sich auf eine halbe Stunde, nicht einmal an die Nachbereitung ist gedacht. Der Ausschluß der lesbisch-schwulen Basis zieht sich als roter Faden durch die Arbeit des Referats. Zwar sei man »mit einzelnen Projekten im Gespräch« und wolle sich im November der Bewegung vorstellen; die Anregung, für die Verteilung der Projektmittel (1990: 200.000 DM) einen Beirat einzusetzen, verschwand jedoch in der Schublade. Für Mitarbeiter Stefan Reiß nicht böse Absicht, sondern strukturelles Problem. Konzeptionelle Fragen könnten »in der Demokratie« nicht direkt, sondern nur über Abgeordnete an die Behörden herangetragen werden. Allein deren »gesetzmäßige Aufgabe« sei es, die Verwaltung zu kontrollieren. Ganz anders Telge: »Die Verwaltung ist für BürgerInnen da und muß sich nach ihnen richten.« Daß das anderenorts üblich ist, zeigten Beispiele der ausländischen Gäste. Ging es um die Schwulenbewegung kam Reiß mit der Wahl des Personalpronomens »wir« mehrfach ins Schleudern.

Differenzen aber auch bei den Zielvorstellungen für das gleichgeschlechtliche Referat: »Business as usual« im Sinne von »wir sind keine Exoten und arbeiten nicht für Exoten« ist Kokulas Leitspruch bei ihrem Wunsch, innerhalb der Verwaltung Bewußtseinsänderungen zu bewirken. Telge aber verlangt auch ein Agieren nach außen. »Einen Fehler« nennt er heute, daß er in den Koalitionsverhandlungen die Forderung nach einer obersten Homo-Landesbehörde mit eigenem Öffentlichkeitsrecht aufgegeben hat. Während das Referat aufgrund seiner neuen Zuständigkeit für Ost-Berlin in den laufenden Haushaltsberatungen mehr Stellen und Sachmittel verlangt, setzt Telge sich nur für die basisfreundliche Aufstockung der Projektmittel ein. Beide Forderungen ließ die SPD aber in erster Lesung zurückstellen.

Gelassenheit daraufhin beim AL- Haushaltssprecher Köppl. Vom »Geheimreferat« sei er nämlich »enttäuscht«, die Forderung nach Abschaffung könne er als »Drohung« und »Anstoß für eine bessere und sichtbare Arbeit« nur begrüßen. Ähnlich Telge: Zwar sei die »Schonzeit« für das Referat »vorbei«, es abzuschaffen jedoch falsch. Man müsse jetzt »optimieren«. Noch vor der zweiten Haushaltslesung möchte er mit der Bewegung über Bilanz und das weitere Vorgehen diskutieren. Zu einem Ratschlag laden er, sein Kollege Eckert und Lesbenassistentin Kormannshaus daher am 8. Oktober um 19.30 Uhr ins Schöneberger Rathaus. Micha Schulze