Strickmuster mit Fehlern

■ Über die Schwierigkeit, die Randalierer einzuordnen ZUR SACHE

Berlin. Wer mal wieder nur die »Kreuzberger Chaoten« und möglichst noch ein paar Ausländer für die stundenlangen nächtlichen Auseinandersetzungen auf dem Alexanderplatz verantwortlich machen will, argumentiert haarscharf an den Tatsachen vorbei. Selbst Innensenator Pätzold mußte einräumen, daß die Stimmung während der Demonstration zwar »aggressiv«, aber weitgehend friedlich war. Daß sich ein großer Teil der »Störer« vorher gar nicht am Demonstrationszug beteiligte. Und daß eine Vielzahl von Zuschauern am Alexanderplatz die Polizeiaktionen massiv behinderte oder sich zum Teil selbst aktiv an den »Störungen« beteiligte.

Sicher — die TeilnehmerInnen der Demo hatten zunächst den Pflaster-Grundstein gelegt. Zu vorgerückter Stunde jedoch war der Platz weitgehend in Ostberliner und Touristenhand: StudentInnen, Jugendliche, zum Teil Kinder, aber auch ältere Bürger zwischen 50 und 60 — die »autonome Szene«? Was aber die »guten deutschen Bürger« zwischen Würstchen und Bier dazu trieb, sich am Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei zu beteiligen, läßt sich nur mutmaßen: Möglicherweise fühlten sie sich an den ehemaligen Überwachungsstaat DDR erinnert. Oder der reichlich geflossene Alkohol ließ sie abenteuerlustig werden. Vielleicht aber nutzten sie auch nur die unverhoffte Gelegenheit, sich auf diese Weise gegen die schnelle Übernahme durch die BRD zu wehren.

Fakt bleibt in jedem Fall, daß es eben auch diese ganz »normalen Bürger« waren, die ungeschickt Bierdosen sowie Feuerwerkskörper in Richtung Polizei warfen und blindlings auseinanderstoben, wenn die Grünuniformierten näher rückten. Vor allem die daran beteiligten älteren Leute sahen nicht so aus, als hingen sie am Gängelband der »Kreuzberger Chaoten«. Mit diesem Etikett lassen sich die Ereignisse nicht zukleistern — die relativ hohe Beteiligung von »Normalbürgern« an den Ausschreitungen sollte zu denken geben. Martina Habersetzer