Schwarzrotgold ist die Haselnuß

■ Das Öffentlich-Rechtliche glänzte mit Einfallslosigkeit/ Einzig Thomas Gottschalk war unterhaltsam

Das Fernsehen war dabei. Mit Gleich-Schaltungen nach Schwerin, Berlin und Magdeburg. Nach Görlitz, Bonn und Leipzig. Es war dabei, das Fernsehen, als „unser Vaterland“ den ersten Einheitstag beging. Die Sonne schien „so blau“, es war „ein wunderschöner Tag“, die Menschen „freuten sich“, und „wer hätte das gedacht vor einem Jahr?“ Warum sind wir in Weimar? „Ganz einfach: Es gibt keine Grenze mehr.“ Wer hätte das gedacht? Sie? Herr Kempowski? Nein. Auch Biermann nicht. Fritz Pleitgen und Jürgen Engert sind ebenfalls wie vor den Kopf geschlagen, daß „heute vor einem Jahr nicht einer sich hätte denken können“, wie schwarzrotgold die Haselnuß aussehen kann. Ja, damals, als „die Dämme brachen“, da hätte niemand „an Deutschlandeinigvaterland geglaubt“. Wir hatten, sagen wir's mal ganz offen, „alle nicht mehr damit gerechnet“, daß eines schönen Tages das Fernsehen von morgens um sechs Uhr bis weit nach Mitternacht mit vier, fünf Sätzen, mit Rückblicken auf DDR-Paraden und abgefilmten Fahnen samt Menschenmassen Programm zu machen sich erdreisten würde. Daß es uns volles Rohr gesamtkanalig im Würgegriff dieser geschwätzigen „Neinsowasaberauch“-Idiotie umklammert halten würde.

Auch wir sind das Volk“, behaupten Kinder mittags in der ARD und dürfen vor die Kamera, weil sie von Honecker erzählen können, der „dauernd Privilegien hatte, einen Chauffeur und Essen und so“. Danach gehört die ARD vier Stunden lang Heinz Burghart und Ulrike Wolf, die sich in Weimar suhlen und im Hausherrnrecht der ARD. „Sie sind hier Gäste der ARD. Wann wir aufhören, bestimmen wir“, herrscht Burghart die Weimaraner an, als die ein Pfeifkonzert anstimmen, weil sich ein Ex- Stasi-Offizier zugleich als Schuldiger und heimlicher Widerständler gibt. Ja, wer hätte das gedacht vor einem Jahr, daß ein so schöner Tag von Mißstimmung begleitet würde? Beim ZDF „fühlen sich alle wohl in Weimar“ — und anderswo. „Die Menschen feiern“ und hätten — „was empfinden Sie? Wie geht es Ihnen? Was sagt Ihnen DeutschlandeinigVaterland?“ — bis vor kurzem nicht vermutet, daß wir das noch erleben durften, was eigentlich „niemand mehr geglaubt hat“.

Nichts fällt diesem Fernsehen ein, dem öffentlich-rechtlichen, nichts anderes als redundantes Tautologisieren, Beschwörung von Ereignis und Gefühlen, Kamera laufenlassen und von Reporter zu Reporter schalten. Gäbe es nicht privates Fernsehen und Thomas Gottschalk — man hätte nie erfahren, wie menschlich und unterhaltsam mit deutscher Einheit Fernsehen zu machen ist: Der böse Bube hat sich nicht gescheut, die ganze Einheitsnacht mit Müllmännern und Politikern, vor Imbißbuden und in Nachtbars zu verbringen, sich Jugendliche aus Ost und West ins Studio zu holen, um sich mit denen — ja, ganz einfach: zu unterhalten. Frech, ruppig, mit unverblümter Neugier. Daß dann noch ein Auto zu gewinnen war, daß seine Sendung von Werbung unterbrochen wurde — es wirkte wie eine frohe Botschaft aus einer Welt, in der nicht Deutschland Deutschland über Fernsehzombies geht. „Herr Professor, ein gewisser Schlußstrich ist erreicht“, stammelte Heinz Burghart in der ARD. Für diese öffentlich-rechtliche Berichterstattung: ja. Sybille Simon-Zülch