Euphorie von kurzer Dauer

Fußball ist beliebt in China, aber das Spielniveau bescheiden: 0:1 gegen Thailand im Viertelfinale der Asienspiele — jetzt soll eine Strukturreform helfen  ■ Aus Peking Jürgen Viethen

Für einen Sieg im Fußballviertelfinale der Asienspiele hätten die chinesischen Sportfans gerne alle dreizehn Goldmedaillen des Tages eingetauscht. Ausgerechnet am Nationalfeiertag der Volksrepublik schieden die Gastgeber durch ein 0:1 gegen den krassen Außenseiter Thailand aus — eine Blamage, eine Schmach, Gesichtsverlust.

Kein Sport im Reich der Mitte wird so beobachtet und verfolgt wie Fußball. Zuschauerzahlen brechen alle Rekorde, Namen wie Matthäus, Völler und Littbarski sind überall auf der Straße bekannt. Doch während die Athleten im Swimmingpool, auf der Tartanbahn und in der Turnhalle ihr Monopol auf Goldmedaillen mehr und mehr ausbauen, treten Chinas Kicker auf der Stelle.

Seit der Wiederaufnahme in den Weltfußballverband FIFA versagt das Team der Volksrepublik China regelmäßig in den entscheidenden Spielen. Auf dem Weg zu den olympischen Spielen nach Moskau wurde der „Große Drachen“ von seinem kleinen Bruder aus Singapur gestoppt. Die Qualifikationen zur Weltmeisterschaft 1982 und 1986 wurden gegen die Fußballzwerge Neuseeland und Hongkong verspielt. Die massiven Ausschreitungen von Fußballanhängern nach dem Spiel gegen die Kronkolonie hatten Auswirkungen auf den Sportplan des Ministeriums. Fußball wurde, um den Sportlern den psychischen Druck zu nehmen, von der Liste der Hauptsportarten gestrichen.

Auch Nian Weisi, der populäre Nationalspieler der fünfziger Jahre, konnte der Elf nicht auf die Beine helfen. Nach dem frühen Ausscheiden bei den 10.Asienspielen in Seoul gab er den Posten an Jugendtrainer Gao Feugwen ab. Als sich China am 27. Oktober 1987 mit einem 7:0 über Japan für die olympischen Spiele qualifiziert hatte, schien das Ende eines langen Tunnels erreicht. Gao Feugwen ließ man als einen Volkshelden hochleben, doch die Euphorie war nur von kurzer Dauer. Im letzten Spiel des Qualifikationsturniers für die Weltmeisterschaft in Italien, schoßen die chinesischen Kicker in der 82.Minute das 1:0 gegen Katar. Auf der Bank und auf dem Rasen träumte man schon von Europa, als vier Minuten später der Ausgleich fiel. In der 83.Minute wurde China durch das 1:2 endgültig ausgeknockt.

Vor kurzem noch hochgejubelt wurde Gao Feugwen als „Hirte eines Rudels von Schweinen, das nur im Dreck gewühlt habe“, beschimpft. Die Sportzeitungen sprachen von einem Fiasko. Gaos letzte Chanche waren die Asienspiele, für die er die Goldmedaille versprach: „Seitdem wir so stark sind wie alle anderen asiatischen Teams, haben wir mit dem Heimvorteil allen Grund, Gold anzustreben.“ Zweimal führte er seine Elf zum Höhentraining an die burmesische Grenze. Doch anstatt sein Hauptaugenmerk auf den Ausgleich psychischer Defizite zu legen, ließ er Kondition bolzen.

„Wer keine Tore schießt, kann auch keine Siege erringen“, so einfach die Erklärung von Thailands Sportberater Burkhard Pape. Seit neun Monaten unterstützt der 57jährige die Sportführer in Bangkok, nachdem er jahrelang in Indonesien, auf Sri Lanka und in Afrika tätig gewesen war. „Thailand hatte nicht die Spur einer Chanche“, analysiert Pape, „wir hatten nur einen Eckball und eine Gelegenheit zum Tor, aber die haben wir genutzt.“ Pape sieht in der mentalen Schwäche der einheimischen Kicker den Hauptgrund für das plötzliche Auscheiden. Kein Spieler hatte in dem Hexenkessel die Übersicht behalten und klaren Kopfes das Spiel bestimmen können.

„Wenn die Chinesen sich im Fußball mehr dem Westen öffnen und von den besten Teams gezielt lernen, steht uns in den nächsten Jahren Schlimmes bevor. Dann müssen wir Europäer uns warm anziehen“, prognostizierte der Sportberater des Auswärtigen Amtes. Noch findet in China kein wöchentlicher Spielbetrieb statt. Meisterschaften werden in Turnieren entschieden, die Nationalmannschaft bleibt losgelöst vom restlichen Spielbetrieb ganzjährig im Trainingslager.

Pape schlägt die Einführung von Regionalliegen als höchste Spielklasse vor, da wöchentliche Punktspiele Grundlage für stabile Leistungen seien. Aus den Erfahrungen vergangener Jahre gibt er den Chinesen schlechte Noten bei der Organisation: „Der afrikanische Fußball ist mittlerweile besser organisiert. Die Stärke der deutschen Bundesliga besteht nicht in Lothar Matthäus und Bayern München. Sie baut auf den vielen Millionen Kickern auf, die jedes Wochenende um 15 Uhr zwischen Ostfriesland und Bayern Punktspiele austragen.“

In China seien, typisch für Asien, Ziele oft zu kurzfristig angelegt. Die Basis werde zu sehr vernachlässigt. Doch stehen wirtschaftliche und infrastrukturelle Probleme einer Entwicklung im Fußball in der Volksrepublik China entgegen. Die Kosten für die teueren Flugtickets plündern die Mannschaftskassen, und ein paar Tonnen mehr Reis bei der Jahresernte sind vielerorts natürlich wichtiger als ein Bolzplatz für die Dorfjugend. Chinas chronischer Platzmangel läßt Fußball im Milliardenvolk kaum zu.