Glassplitter auf deutscher Einheitstorte

Am Einheitsmittwoch gab's das gegennationale Nachspiel: Einige Hundert machten sich nach der „Deutschland, halt's Maul!“-Demo zum Alex auf/ Bis zwei Uhr nachts klirrten Scheiben, brannten Autos/ Bundesgrenzschutz-Premiere in Berlin  ■ Von Martina Habersetzer

Berlin (taz) — Auch wenn die deutsch-deutsche Einheitstorte in Berlin nun doch noch ein wenig eingedrückt wurde — den Polizeieinsatz an beiden Tagen werteten gestern Berlins Innensenator Pätzold und Polizeipräsident Schertz als „großen Erfolg“. In der Vereinigungsnacht kam es zwar zu Auseinandersetzungen zwischen rund 300 meist Jugendlichen und der Polizei in Kreuzberg, die Jubelfeier selbst jedoch habe man „vor Störern weitgehend abgeschirmt“.

Anders am Einheitsmittwoch: Bis gegen zwei Uhr nachts dauerten die Unruhen am Alexanderplatz noch an, diverse Schaufensterscheiben gingen zu Bruch, mehrere Autos, meist Luxuslimosinen, ähnelten am Ende nur noch undefinierbaren Blechhaufen. Dabei verlief die Anti- Einheits-Demonstration unter dem Motto „Deutschland halt's Maul — es reicht“, an der sich weit über zehntausend Leute zumeist aus dem autonomen Spektrum beteiligten, zunächst weitgehend friedlich. Bei Vorkontrollen wurden bereits im Vorfeld 50 Leute wegen unerlaubten Waffenbesitzes festgenommen. Man habe vermuten müssen, so Pätzold gestern, daß sich nach dem friedlichen Verlauf der Vereinigungsnacht „der Haß am zweiten Tag um so mehr entladen“ würde. Deswegen habe er neben den 600 in Berlin bereits eingetroffenen Bundesgrenzschutzbeamten noch zwei weitere Einheiten anfordern müssen.

Am frühen Nachmittag setzte sich der Zug von Kreuzberg aus in Bewegung, Ziel war die Abschlußkundgebung auf dem Platz vor dem Haus des Lehrers im Stadtbezirk Mitte, direkt neben dem Alexanderplatz. Doch dazu kam es nicht: Nachdem sich bereits während der Demonstration eine gereizte Stimmung breit machte, die am Rande auch zu kleineren Auseinandersetzungen und Polizeiübergriffen führte, flogen am Kundgebungsort unvermittelt die ersten Flaschen und Steine. Die bereits im Umfeld zusammengezogenen Beamten nutzten die Gelegenheit, in dichten Ketten die DemonstrationsteilnehmerInnen vom Platz zu treiben. Damit war die Demonstration aufgelöst und das Signal für die folgenden Stunden gesetzt: Der Großteil der DemonstrantInnen verließ den Ort des Geschehens, ein „harter Kern von rund 500 Störern“, so gestern die Polizei, blieb auf dem mit Bühnen, Würstchen- und Bierbuden geschmücktem Alexanderplatz zurück. Darunter seien jedoch nicht nur DemonstrationsteilnehmerInnen gewesen, sondern auch „viele andere junge Leute, die sich vorher nicht an dem Zug beteiligten“. Wenig später brannte das erste Auto, zahlreiche Warenhaus- und Hotelscheiben gingen zu Bruch. Besonders auffällig: Die Vielzahl von mehreren tausend ZuschauerInnen, die im Verlauf der Auseinandersetzungen nur zögernd verschwanden, sich zum Teil passiv der Polizei in den Weg stellten oder selbst auch mal die Bierdose etwas zielgerichteter von sich warfen.

Die „Kreuzberger Szene“, so ein Polizeibeamter gegen 22.30 Uhr vor Ort, habe sich „schon längst zurückgezogen“, laut Schertz hätten sich jedoch „bis zum Schluß etwa 150 Störer“ auf dem Platz befunden. Die mit mehrern tausend Beamten präsente, fast ausschließlich Westberliner Polzei setzte gegen die Umstehenden mehrfach Wasserwerfer und Tränengas ein und versuchte, zum Teil mit sogenannten Greiftrupps, möglichst gezielt gegen potentielle Straftäter vorzugehen. Die Auseinandersetzungen dauerten bis tief in die Nacht, 209 Leute wurden festgenommen, „West- und Ostberliner, aber nur drei ausländische Bürger“. Bis auf zehn wurden gestern jedoch alle wieder entlassen. Das Ausmaß der Schäden stand gestern noch nicht fest, ebensowenig wie die Zahl der Verletzten. Auf seiten der Polizei mußten sich 20 Beamte in ärztliche Behandlung begeben. Im Berliner Stadtteil Kreuzberg kam es dagegen gestern zu keinen nennenswerten Auseinandersetzungen.

In Köln dagegen schritt die Poliziei gegen 250 DemonstrantInnen ein, die am Abend vor der Philharmonie Konzertbesuchern den Weg versperrten. Eine Deutschlandfahne brannte, Fensterscheiben gingen in der Innenstadt zu Bruch.