Vision Stadt?

■ Betr.: „Der reiche Mann und das Mehr“ und „Neues Wohnen“, taz v. 24.9.

Selbstverständlich gibt es schon lange in den Köpfen vieler PlanerInnen und ArchitektInnen und in den Herzen vieler BürgerInnen Visionen von einer „anderen“ Stadt: einer Stadt nämlich, die Lebensraum für alle Mitbewohner bietet — Junge und Alte, Arme und Reiche, Tiere und Pflanzen eingeschlossen. Eine Stadt, die nicht nur weiter Landschaft unter sich begräbt und Energie und Materie verbraucht und alle lebenswichtigen Ressourcen vernichtet, um daraus schlußendlich nur noch mehr Ab-gase, Ab-wasser, Ab-fälle zu produzieren.

Ist die Vision einer Stadt wirklich nur Utopie, in deren Zentrum z. B. über den Konsumtempeln nicht nur Autos gestapelt werden, sondern auch wieder Menschen wohnen, die auch dort ihren Arbeitsplatz nebenan in der Büroetage haben und abends mehr und vielleicht auch besser geförderte Kultur-und Freizeitangebote auch zu Fuß erreichen können?

Da wird doch wohl eher nur nichts daraus, weil dieses städtebauliche Leitbild nicht mit den in der gleichen taz vorgestellten sogenannten „Visionen“ von „Baulöwen aus dem Klinkerkönigreich“ übereinstimmt, und weil sich damit wohl nicht ganz so gut verdienen und auf irgendwessen Feriensitz am Mittelmeer kunkeln läßt. Eine Vision von einer „lebendigen Stadt“ ist wirklich „komplexer“, und viele müßten bei der Planung mitreden. Da wird aber auch nichts draus, so lange in der gleichen Ausgabe der taz und sogar noch unter der Überschrift „Neues Wohnen“ unkommentiert die Vorschläge aus dem Haus der sogenannten Umweltsenatorin veröffentlicht werden können, die den Bau von etwa 18.000 Wohnungen mit einem Flächenbedarf von etwa der dreifachen Größe des Bürgerparks zum Ziel haben, und offensichtlich von der Betonierung von Grambke- West, des Ostzerholzer Feldes und sogar eines Teils der lange umkämpften Biotope in Borgfeld-West nicht zurückschrecken. Nur noch etwa 1/3 der Landesfläche bleiben dann in Bremen überhaupt freie Landschaft! Den Bürgerpark eingeschlossen.

Es bleiben viele Fragen: Wurden eigentlich auf den zur Bebauung vorgesehenen Flächen — und das ganz im ökologischen Sinne — die Wechselbeziehungen zwischen Leben und Umwelt untersucht, und wird eigentlich noch der Öffentlichkeit von der Fachbehörde eine Folgenabschätzung über die Wirkung der Bebauung in den Gebieten und über deren Wirkung auf den Bremer Stadtraum vorgelegt? Hat das zitierte „Amt für Ökologische Stadtentwicklung“ überhaupt die fachliche Kompetenz, solche Untersuchungen und Bebauungsvorschläge zu machen?

Werden die Vorschläge in unserem Land mit seiner gutgeölten Telefon-Demokratie überhaupt noch einmal fachlich erörtert, und finden dann in einem wirklich offenen politischen Prozeß die Diskussionen statt, die zu internationalen Bauwettbewerben führen müßten?

Welcher der Politiker und welcher der künftigen Bewohner ist aber dann eigentlich von welcher Bildungseinrichtung in Bremen darauf vorbereitet worden, um hier qualifiziert mitreden und den Städtebau und die Architektur beurteilen zu können?

Und nicht zuletzt: Wird die taz in Zukunft ihrerseits mehr dazu beitragen und das Thema „Städtbau und Architektur“ mit der gleichen Ernsthaftigkeit unter „Kultur“ diskutieren und in Zukunft jedem Haus, das da „draußen“ in den „Vorstädten“ gebaut und lange stehenbleiben wird, schon während der Entwurfsplanung mindestens so viel Zeilen Kritik widmen wie den vielen Konzerten, Kinoveranstaltungen und Clowns-Auftritten und anderen ephemeren und flüchtigen Veranstaltungen im Viertel? Ich würde es mir wünschen!

Prof. Klaus Kammerer, Architekt