“Puff, das ist doch 'ne ganz andere Welt“

■ Kitty erzählt, wie sie 23 Jahre lang anschaffte, mit Tricks die Männer ausnahm und am Ende keinen Pfennig hatte

Also, erst hab ich gelernt bei so'ner Parfümerie-Großhandlung in Dortmund. Ich kriegte damals zehn Mark Taschengeld in der Woche, den Rest mußte ich abgeben. Das war eben damals so, und davon mußte ich auch Straßenbahngeld bezahlen und wenn ich mal weggehen wollte. Und da bin ich zur Arbeit immer gelaufen, denn hin und zurück, das wär ja am Tag schon 'ne Mark gewesen.

Und wenn ich jetzt abends von der Arbeit kam, aus der Parfümerie, dann kam ich immer am Straßenstrich vorbei, das wußte ich damals aber noch nicht. Da hab'n denn auch die Autos angehalten und die Weiber haben mich angepöbelt. Ich wußte gar nicht, warum, und schließlich habe ich mir ein Herz gefaßt und bin mal zu denen 'rüber, warum die mich immer anpöbeln, ich würd da arbeiten und wollt doch nichts. Ja, und dann hat man sich später auch gegrüßt und is' auch mal rüber gegangen.

Von Zuhause abgehauen

Ja, und dann fing das Ganze damit an, daß ich immer um neun Uhr zu Hause sein mußte, obwohl ich schon 18 war. Und wenn nicht, hat mein Vater immer gepöbelt. Und einmal bin ich schon viel zu spät gewesen und hatte dann irgendwann keine Traute mehr, nach Hause zu gehen. Ich hatte so'n Bekannten, der stand immer mit seinem Taxi am Steinplatz, das ist so'ne Puffgegend. Und der hat mich dann mitgenommen und bei sich auf'm Boden versteckt. Hat mich aber nicht angerührt, war alles ganz sauber.

Am nächsten Tag bin ich dann auch nicht zur Arbeit gegangen, hatte einfach keine Traute mehr. Als mein Papa mich angefangen hat, zu suchen, hab' ich mich in einer Bar versteckt. Dann bin ich mit zwei Typen mitgefahren nach Bochum. Hauptsache, dachte ich damals, aus Dortmund raus.

Der Straßenstrich

Und in Bochum war denn eine bei denen, die gingen auf'm Straßenstrich. Und dann hab'n sie mir das erst mal gezeigt, wie das geht. Die hat mich mitgenommen zu 'ner Tour. Das war ja damals noch verboten. Und da haben sie mich natürlich an die Hammelbeine gekriegt, und haben angerufen, daß sie mich gefunden haben nach drei Monaten. Meine Eltern haben mich dann ins Heim gesteckt und dann hat mein Papa mich nach 14 Tagen wieder 'rausgeholt, er hatte sich wohl alles noch mal überlegt.

Wir haben denn auch nicht mehr darüber gesprochen, aber irgendwie wußte ich doch jetzt, wie leicht Geld zu verdienen war. Ich kriegte doch nur die paar Lutschpfennige, die zehn Mark. Wo ich doch so hochhackige Schuhe liebte. Damals fing das doch an mit der Rock and Roll- zeit.

Nach der Arbeit die Tour

Also, ich bin richtig arbeiten gegangen, aber abends habe ich immer noch so zwei, drei Touren gemacht, für etwa je 15 Mark. Hat'n Auto angehalten, was nimmste, 15 Mark, okay. Also irgendwie lag mir das eben. Und dann haben sie mich wieder erwischt, aber da war ich gerade 21 und hätte ja Knast gekriegt.

Da bin ich in die Kneipen geflüchtet, wo die ganzen Dirnen gesessen haben und da kannte ich auch schon welche aus'm Puff. Das werd' ich nie vergessen, das war auf'm Donnerstag, 19.Januar 1965, und da saß ich dann, ich sollte ja eigentlich drei Wochen Haft antreten. Da kommt die dicke Heidi rein, die fuhr damals den ersten Porsche.

Zum ersten Mal im Puff

Und die fragt mich: 'Wat sitzt du denn hier so dämlich". Ich sage: 'Ja ich muß in' Knast'. Und da sagt' se: 'Mensch, weißte was, geh mit in'n Puff, da wird alles niedergelegt'. Dann hat sie mit dem Chef gesprochen. 'Alles klar, aber erst zur Kontrolle'. Dann mußtest du auch noch zum Röntgen und dann zur Kripo, Fingerabdrücke machen lassen und so. Und dann saß ich da zum ersten Mal im Puff. Die Frauen liefen in so'nen Baby Dolls rum. 'Nee, so läufste nie rum', hab ich da gedacht. Also bis jetzt war ich ja nur auf'm Straßenstrich. Das mit den Schwänzen kannte ich ja nun alles, aber Puff, das ist doch 'ne ganz andere Welt. Dann bin ich erst mal nach Hause und hab meinen Eltern gesagt, 'Ich muß mal mit euch sprechen, ich bin in'n Puff gegangen". Mein Vater hat sich erst mal umgedreht, um die Tränen zu unterdrücken, und dann hat er gesagt: 'Weißte was, dein Zimmer bleibt deins, treib dich nicht rum, und wenn du Feierabend hast, kommste nach Hause". Ich hatte ja schon so viel Scheiß gemacht, die haben sich einfach damit abgefunden.

Puff, das war für mich immer so 'ne ganz andere Welt. Wenn die Frauen aus'm Puff mal in irgendeine Kneipe 'reinkamen, hatten die immer so tolle Haare, und das Parfüm, wir hatten doch nur 4711 und Kernseife, und toll die Lippen geschminkt und die Stöckelschuhe, und so tolle Kostüme mit 'nem Pelzkragen drauf. Als normaler Bürger hattest du das doch nicht.

Also, Puff, das is' es

Ich hab' zwar auf dem Straßenstrich auch so meinen Hunderter am Abend gemacht, aber bei 15 Mark, wie oft mußte da ficken. Manchmal haste ja deine 20 oder 30 Mark gekriegt, aber die Straßen waren ja voll von Weibern. Straße und Bar, das war dann für mich ganz tabu. Also Puff, das is' es.

Allerdings war das am Anfang auch nich' so einfach. Ich wohnte ja damals nur 'ne halbe Stunde vom Puff entfernt. So wußten das dann gleich auch alle meine Freunde, schon automatisch. Denn ich bin ja nicht in eine andere Stadt gegangen. Und wenn du dann so an der Rampe, also am Fenster, gesessen hast, dann haste 'se auf einmal alle gesehen, die dann kamen: Der Müller von nebenan, der Meier von oben drüber. Erst bin ich immer abgehauen vom Fenster, aus Angst. Das hat sich aber natürlich doch 'rumgesprochen, irgendwie hatte mich wohl einer gesehen. 'Mensch die Tochter von Herbert, die ist im Puff".

Da kamen se natürlich alle gucken, die sind sowieso immer gucken gekommen, aber plötzlich waren dann alle da, von der Arbeit oder Schule. Manchmal hab' ich mich dann gar nicht ans Fenster getraut. Meine Freundinnen haben sich aber dann damit abgefunden. Außerdem war ich ja jetzt was Interessantes. Ich war ja mit denen groß geworden, und auf einmal war ich aus der Bahn getreten, ich war im Puff.

Und dann hab ich mich ja jetzt auch anders gekleidet, ich hatte ja jetzt Geld. Also, Puff, das lag mir. Das ist sauberer als auf der Straße oder in 'ner Bar. Das ist doch alles da ganz anders. Du kannst dich waschen, hast dein eigenes Zimmer, 'ne Dusche und so, es ist einfach besser.

Also, wie soll ich das jetzt erklären. Also, du kommst rein. Ich frag dich: 'Na, Schat,z kommste mit?' 'Was nimmste?' 'Sagen wir mal so 30 Mark', so war das ja damals etwa. 'Gut', machste die Tür auf. Jetzt kommt der hoch, nimmste erst mal die 30 Mark, so, die haste jetzt. Und dann kannste sagen: 'Schatz, was hälst du davon, wenn wir uns mal'n bißchen ausziehen?' 'Ja, hab ich dich doch unten schon gefragt.' 'Nee, das hab ich nicht gehört, du hast mich gefragt: was nimmste, und dann hast du genickt'. Das soll er mir erst mal wiederlegen. Wenn er Theater macht, schmeiß ich ihn raus. Manchmal gibt's schon mal Stunk, daß du dich mit 'nem Kerl prügelst. Aber der zieht ja doch den kürzeren, bei den vielen Frauen. Die Frauen im Puff sind doch ganz anders drauf. Der kriegt einen vor den Tabernako, von recht, von links, da verschläft er Heiligabend. Also, hier im Puff, da läuft nichts mit Vergewaltigung oder so.

Sprüche gehören zur Arbeit

Ansonsten brauchen die Männer Sprüche. Wenn du ihnen sagst: 'Mensch, Schatz, hast du'n dicken Schwanz, so'n großen'. Also, Reden ist wichtiger als Ficken. Ficken bringt's nicht. Beim Ficken kannste nur die Beine auseinandermachen, legt der sich drauf, fickt, ist fertig. Davon hab ich kein Geld. Nur die 30 Mark, die er mir zu Anfang gegeben hat. Also fang ich an zu quatschen: 'Was hast du denn für'n tollen, ich hab gerne das und das, was hälste denn davon, wenn wir das mal machen, und dabei kannste doch wichsen', und wenn du dem jetzt noch was geiles erzählst dabei und ihn dann wieder auf was anderes konzentrierst, dann merkt der doch gar nicht, was läuft, daß er schon kurz davor ist, dann steht er noch mal auf und gibt dir noch Geld.

Das kannst'e alles natürlich erst, wenn du schon länger im Puff bist, das zeigen dir die anderen Frauen. Und wenn du dann siehst, daß er kein Geld mehr hat, siehst du natürlich, daß du ihn schnell fertig kriegst. Dann hab ich auch immer so'nen Wichsapparat. Den hab ich dann dran gehalten und hab gesagt: 'Schatz, jetzt machen wir den erst mal schön hoch'. Und wenn der dann sagte: 'Hör auf', und spritzt auch schon, dann war ich natürlich ganz traurig, weil ich ja auch so geil war, und das hätte er auch eher sagen können, daß er fertig wird, das wollt ich nicht. 'Aber komm noch mal wieder', sag ich ihm dann, 'dann nimmste dich aber mal'n bißchen zusammen'.

Sprüche kloppen muß man. Und dann ging der. Du bist auch runter, hast dich an's Fenster gesetzt und hast den nächsten angemacht. Das ist dann alles schon so im Trott, ob der jetzt da liegt, oder ein Teddy, der spricht, egal, wie der aussieht. Obwohl, manchmal kommen auch Typen in 'n Puff, da kannste auch fast blind werden, so stark sehen die aus.

Ne normale Tour ist immer mit An-und Ausziehen und Treppenlaufen 15 Minuten. Und wenn dann der letzte raus ist und mir das Geld gegeben hat, dann hab ich Feierabend. Hauptsache, das Geld stimmt. Zu Hause bin ich dann so verliebt, wie jede andere auch. Das hat sich nicht verändert. Das ist genauso, wie wenn du jetzt deine Würstchen verkaufst, so hab ich eben die Schwänze bedient und das Thema war erledigt.

Privat und Arbeit, das ist getrennt, und zu Hause wird auch nicht über'n Puff gesprochen. Ich gehe eben zur Arbeit, und dann hab ich frei. Aber ich bin eigentlich schon immer ein kühler Mensch gewesen. Und jetzt, wo ich seit sechs Jahren alleine bin, hab' ich nicht mal mehr Lust, mir einen zu zuppeln. Früher war das anders, besonders, wenn ich mit Meinem zusammen war und keine Kaptagon drinnhatte. Dann brauchte ich einen, der richtig ficken konnte. Wenn der nicht richtig ficken konnte, konnte er auch zu Hause bleiben.

Man mußte sich natürlich keinen Mann nehmen, aber das war halt so üblich im Puff. War halt'n toller Typ, wo alle hinterher waren, und da willst du natürlich die bessere sein, dein Kerl muß natürlich rausstechen. Der kriegte von mir in der ersten Woche einen Brilli, sowas hatten die anderen Weiber, die schon etliche Jahre an der Rampe standen, nicht. Dann kriegte der von mir 'ne goldene Rolex, nach zwei Monaten und nach drei Monaten auch noch einen Mercedes. Und da waren sie natürlich sauer.

Verdient habe ich damals außer die Unkosten durchschnittlich 20.000 Mark. Aber du warst verliebt, und dann haste alles abgegeben, und im Endeffekt hattest du gar nichts. Heute hab ich als Sozialhilfeempfängerin mehr als damals. Aber das war halt so.

Aufgeschrieben von Birgit Ziegenhagen