Reichsbahn will im Westen mitreden

■ Für viele S-Bahn-Projekte in West-Berlin fordert die Reichsbahn eine »gemeinsame Überprüfung«/ In Ost-Berlin braucht die Reichsbahn fünf Milliarden DM für Ausbau und Instandsetzung der S-Bahn

Berlin. Im zusammenwachsenden Berlin wollen die S-Bahner der Deutschen Reichsbahn auch bei der S-Bahn-Planung auf dem Gebiet von West-Berlin mitreden. »Viele Projekte« müßten BVG und Stadtregierung »gemeinsam« mit der Reichsbahn »überprüfen«, sagte der S-Bahn-Betriebsleiter der Reichsbahn, Wolf-Ekkehart Matthaeus, in einem Gespräch mit der taz. Zwar übernehme die Reichsbahn erst 1994 den S-Bahn-Betrieb auch auf dem Gebiet von West-Berlin. Trotzdem müsse die Planung jetzt schon »gemeinsam gemacht« werden.

Beim Umbau des S-Bahnhofs Papestraße beispielsweise sollten die »Bedingungen« der Reichsbahn erfüllt werden, forderte der Betriebsleiter. Hier müßten BVG und Senat die Fernbahngleise berücksichtigen, die nun wieder gebraucht würden. Er wolle keine Kritik an den bisherigen Westberliner Plänen üben. Allerdings hätten sich mit dem Fall der Mauer und der deutschen Einheit die Voraussetzungen geändert, die BVG sei nicht mehr wie früher »hinter der Mauer eingesperrt«.

Änderungen seien auch bei der Bahnsicherungstechnik nötig. Zumindest an der Software des Westberliner Systems seien »Retuschen« erforderlich. Grund: Während die BVG in West-Berlin bisher ein reines »Achsennetz« betrieben habe, bei dem die Linien völlig getrennt voneinander operieren, arbeite die S-Bahn in Ost-Berlin mit einem »Verästelungsnetz«, auf dem sich verschiedene Linien die selben Gleise teilen. Darauf müsse man Rücksicht nehmen.

Ihre »Erfahrungen einbringen« will die Reichsbahn auch bei der Modernisierung des Wagenparks der S-Bahn. In West-Berlin werden zur Zeit sukzessive neue Triebwagen der sogenannten Baureihe 480 eingeführt, in Ost-Berlin fahren seit zwei Jahren neue Züge der Baureihe 270 aus Hennigsdorf. Die neue West- Technik sei sicherlich »interessant«, beteuerte Matthaeus. Andererseits seien die modernen Reichsbahn- Triebwagen »aus der praktischen Erfahrung des Hochleistungsverkehrs entstanden«, den die Westberliner S-Bahn bisher nicht habe bewältigen müssen. In Ost-Berlin befördere die S-Bahn täglich 700.000 Fahrgäste. Deshalb dürfe man »nicht mit chinesischem Porzellan durch die Gegend fahren«, meinte der Betriebsleiter. Vermutlich werde sich deshalb ein »Verschnitt« der Baureihe 480 durchsetzen.

Matthaeus verteidigte die Ostberliner S-Bahn-Anlagen gegen den Vorwurf, sie seien marode. Die Strecken, auf denen zum Teil im 60-Sekunden-Takt gefahren werde, seien zwar »hoch belastet«. Dank ständiger Reparaturen und Erneuerungsarbeiten sei die Sicherheit trotzdem gewährleistet. Ohne daß damit Gefahren verbunden seien, könne es vorkommen, daß Züge ein rotes Signal überfahren, räumte Matthaeus ein. Die mechanische Fahrsperre, die den Zug in solchen Fällen automatisch bremsen sollte, bedürfe »sicher einer Erneuerung«.

Einen »durchgreifenden Jungbrunnen« verdient habe auch der mittlerweile 120 Jahre alte Bahnhof Ostkreuz, sagte der Betriebsleiter. Die bisher dafür auf Basis von DDR- Preislisten veranschlagten 300 Millionen Mark, seien mittlerweile sicherlich zu niedrig gegriffen. Auch an dem geplanten Neubau einer Strecke zwischen Wartenberg und Karower Kreuz halte man fest. Insgesamt braucht die Reichsbahn in den nächsten 20 Jahren etwa fünf Milliarden Mark für die Instandsetzung und den Ausbau der S-Bahn in Ost-Berlin und Umland. hmt