Militärische Lösung — von Anfang an bevorzugt

■ Elmar Schmähling, von der Bundesregierung in den einstweiligen Ruhestand versetzter Flottillenadmiral, über den Golf-Konflikt INTERVIEW

taz: Der Golf-Konflikt scheint sich immer mehr der kriegerischen Konfliktlösung zu nähern. Sind alle Möglichkeiten zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts genutzt worden?

Elmar Schmähling: Nein. Ich glaube, daß maßgebliche Kräfte in den USA eine militärische Lösung von Anfang an bevorzugt haben. Der Druck auf den Irak ist ganz bewußt so gesteigert worden, daß es zum Krieg kommt. Die Amerikaner hätten nicht gleich so massiv ein militärisches Drohpotential aufbauen müssen, welches ja von der Art und der Menge total überzogen war. Zur Durchsetzung des Embargos braucht man nicht so viele Truppen, schon gar nicht in Saudi-Arabien. Der militärische Aufmarsch läßt nur eine Erklärung zu: Die Amerikaner und mit ihnen die Briten und Franzosen und andere Unterstützer — auch die Bundesrepublik — bereiten sich auf diesen Krieg vor und wollen ihn sogar.

Mit dem vorgegebenen hohen moralischen Ziel, einen Weltstörenfried, einen kleinen Hitler, in die Schranken zu weisen, wird nichts anderes gemacht als brutale Interessenpolitik. Der reiche Norden erlaubt sich zu definieren, was unsere Interessen sind, nämlich der ungehinderte Zugang zum Öl. Es ist besonders tragisch, daß dafür in Kauf genommen wird, daß zigtausend unschuldige Menschen sterben müssen. Dabei wird mit dem Krieg nicht einmal der ungehinderte Ölfluß erreicht.

Die Aggression ging immerhin vom Irak aus.

Richtig. Aber das perserve an der jetzigen Lage ist doch, daß zuerst alles getan wurde, um diese Aggression möglich zu machen durch eine unvergleichliche Aufrüstung dieses Staates und Saddam Hussein wurde auch noch politisch gehätschelt — als er den „richtigen“ Krieg führte — statt ihn nach dem Einsatz von Giftgas gegen die Kurden als Kriegsverbrecher zu verurteilen und politisch zu isolieren. Jetzt Waffen einzusetzen, nachdem all diese Fehler gemacht worden sind, ist nicht konsequent. Richtig wäre, den Irak ohne militärische Gewalt so lange aus den normalen politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen auszuschließen, bis er zu einem Einsehen kommt. Was wäre denn erreicht, wenn es gelänge, den Irak —was ich für zweifelhaft halte— militärisch zu schlagen? Sollen die USA für Jahrzehnte Irak und Kuwait besetzt halten? Ich verurteile jede Art von militärischer Aktion, weil sie keine Lösung bringen kann.

Welche Auswirkungen könnte ein militärischer Konflikt für Europa und die Bundesrepublik haben?

Wenn es zum Krieg kommt, könnte er als heißer Schießkrieg relativ schnell, nach einigen Monaten, beendet sein. Aber daran anschließend kann eine jahrelang schwelende Krise entstehen. Terrorismus und Sabotageakte gegen Ölförder- und -transporteinrichtungen wären an der Tagesordnung. Als Folge eines Kriegs würde die Öllieferung aus der Golf-Region möglicherweise ganz gestoppt oder doch erheblich eingeschränkt werden.

Handelt die Bundesregierung verantwortungsvoll, um diesen Konflikt nicht zu einem militärischen werden zu lassen?

Die deutsche Politik ist gegenwärtig vom Vereinigungstaumel berauscht. Möglicherweise ist das eine Erklärung dafür, warum mit Geld und Material diese amerikanische Machtpolitik grob fahrlässig unterstützt wird. Schlimmer noch ist die Absicht, die selbstgewählte Beschränkung der Streitkräfte auf die Bundesrepublik und das Nato-Gebiet aufzugeben. Das kann man nur als Blindheit bezeichnen, weil damit den deutschen Interessen überhaupt nicht gedient wird.

Sie lehnen es ab, den Einsatz deutscher Truppen am Golf möglich zu machen?

Ja, ganz entschieden. „Germans to the front“ halte ich für eine ganz fatale Entwicklung. Ich hoffe sehr und wünsche, daß es bei uns einen Sturm der Entrüstung gibt. Ich hoffe auch, daß die SPD endlich aufwacht und diesem Schwachsinn widersteht. Daß deutsche Soldaten international integriert unter UN-Kommando zusammen mit anderen Streitkräften Friedensaufgaben übernehmen, darüber könnte man noch sprechen. Es darf aber nicht dazu kommen, daß deutsche Soldaten unter deutschem Kommando irgendwo in der Welt wieder in deutschem Namen töten und getötet werden dürfen.

Nun müßte die Bundesrepublik gerade vor dem Hintergrund der deutschen Einigung daran interessiert sein, friedliche Strukturen in Europa zu schaffen, die über die Nato hinausgehen.

Ja, aber gegenüber früheren Bekundungen ist die Bundesregierung umgefallen, um von den Amerikanern die Zustimmung zur Vereinigung zu bekommen. Die KSZE als Ausgangspunkt für ein kooperatives, die beiden Bündnissysteme ablösendes Sicherheitssystem ist auf dem Altar der deutschen Vereinigung geopfert worden. Genscher hat jetzt vor der UN gesagt, daß die Nato und die KSZE Säulen sein könnten für eine kooperative Sicherheitsstruktur in Europa. Das ist natürlich zu wenig. Mit dem Fortbestand der Nato wird die Sowjetunion dauerhaft aus Europa ausgesperrt.

Sie haben einmal gesagt, nicht Abrüstung, sondern die Umstrukturierung sei das Ziel der Nato. Ist der Golf-Konflikt willkommener Anlaß für das nordatlantische Bündnis, diese Umstrukturierung schnell voranzutreiben?

Die Umstellung des Ost-West- auf den Nord-Süd-Konflikt, auf eine globale Strategie mit größerer Mobilität und Flexibilität der Streitkräfte ist schon seit Anfang der achtziger Jahre durch die Amerikaner betrieben worden. Die USA haben ganz zielstrebig ihre Truppen, besonders die Landstreitkräfte, umstrukturiert hin zu leichterer Bewaffnung und zu flexiblerer Gliederung. Außerdem planen die Amerikaner seit Anfang der achtziger Jahre über das US-Central- Command — verantwortlich für den Nahen Osten — in Florida, eine Militärpräsenz in dieser Region aufzubauen. Der Golf-Konflikt ist für sie die willkommene Gelegenheit, die lange bestehenden Schubladenpläne durchzuführen. Jetzt können die Aufmarschpläne ausprobiert werden. Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, daß aus der Golfkrise eine dauerhafte Präsenz amerikanischer Streitkräfte hervorgehen wird.

Die Nato ist auch längst an der Kriegsvorbereitung beteiligt, obwohl sie von ihrem Auftrag her auf das Nato-Gebiet beschränkt ist. Was im Golf passiert, ist „out of area“, und dennoch unterstützt die Nato massiv mit Truppen und Material. Die Nato hat sich also bereits auf den Nord-Süd-Konflikt geworfen.

Mit dem Golf-Konflikt haben sich die USA zugleich beste Voraussetzungen geschaffen, um auch künftig mit der Nato in Europa präsent zu sein.

Natürlich. Die Nato mußte als das europäische Sicherheitsmodell ohne Alternative hingestellt werden, weil die Fortexistenz dieses Bündnisses für die USA die wichtigste Voraussetzung bleibt, um Deutschland, um Europa als unsinkbaren Flugzeugträger für die eigene nationale Sicherheitspolitik zu benutzen. Daß aus der Bundesrepublik nicht nur Streitkräfte und Material in den Golf verlegt, sondern die Stützpunkte in der Bundesrepublik auch als Drehscheibe benutzt werden, demonstriert die strategische Zielsetzung der Amerikaner. Sie brauchen den Zugriff auf ihre Nato-Basen und auf die deutschen Unterstützungsleistungen.

Das Gespräch führte Gerd Nowakowski