Ein Schlag aufs Maul des Präsidenten

■ „Read my lips!“ hat nichts genutzt: US-Haushaltskompromiß im Abgeordnetenhaus abgelehnt Keine parlamentarische Mehrheit für Steuererhöhungen und Kürzungen im Gesundheitsbereich

Washington/Berlin (taz) — Und nun, Mr. President? Die eifrigen Kommentatoren der US-Fernsehanstalten wollen wissen, daß George Bush eine Alternative erst gar nicht überlegt hat — so sicher sei er gewesen, daß das Repräsentantenhaus der Haushaltsvorlage zustimmen würde. Doch eine große Koalition aus Demokraten und Republikanern hat in der Nacht zum Freitag für die unübersichtlichste Situation der US- Haushaltsgeschichte gesorgt und die Vorlage — ohnehin bereits ein Kompromiß — abgelehnt. Jetzt ist damit zu rechnen, daß im bereits angelaufenen Haushaltsjahr 1991 automatische Ausgabenkürzungen von 85 Milliarden Dollar in Kraft treten — zu einem großen Teil Lohn- und Gehaltszahlungen für mehr als eine Million Staatsbedienstete.

Innerhalb von fünf Jahren sollte das US-Defizit um 500 Milliarden Dollar gekürzt werden. Für 1991 waren zwar nur 40 Milliarden zur Sanierung vorgesehen, doch das Paket umfaßte mittelfristig auch mehrere Erhöhungen von Verbrauchssteuern. Für besondere Empörung hatten Kürzungen von 60 Milliarden Dollar bei der Gesundheitsfürsorge für ältere US-AmerikanerInnen gesorgt. Eine Umfrage hatte zwei Tage vor der Abstimmung ergeben, daß 52 Prozent der Befragten gegen den Kompromiß seien.

Die entscheidende Abstimmung ging 254:179 aus. Die 149 DemokratInnen, die mit Nein stimmten, reklamierten überwiegend, daß die Erhöhungen der Steuern auf Benzin (um umgerechnet 3 Pfennig pro Liter), Tabak und Alkohol überwiegend die Ärmeren treffen würde. Die 105 Neinsager der Republikanischen Partei beriefen sich hingegen auf das Wahlversprechen des US-Präsidenten, die Steuern auf keinen Fall erhöhen zu wollen. Bush hatte dies seinerzeit dramatisch mit der Formulierung „read my lips!“ („Lest es von meinen Lippen ab!“) versprochen. Die abtrünnigen Parteifreunde fordern vor allem noch stärkere Streichungen im Sozialbereich.

Umstritten blieben auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Plans. Die Administration hatte argumentiert, daß nur durch einen ausgeglicheneren Haushalt die drohende Rezession bekämpft werden könne, während die Gegner von Steuererhöhungen befürchteten, genau dadurch würde die Konjunktur abgewürgt.

In einer Fernsehansprache am Dienstag hatte Bush sich noch einmal an die Nation gewandt, um den Parlamentariern die Zustimmung politisch zu erleichtern. Das Etatdefizit sei ein „Krebsgeschwür, das an der Gesundheit unserer Nation nagt“, klagte er. Wenn der Kompromiß scheitere, „wird die Wirtschaft zusammenbrechen, könnten Märkte ins Taumeln geraten und wird Rezession die Folge sein“.

Auf jeden Fall müssen jetzt erst einmal die Zinsen oben bleiben, damit das Riesenloch im US-Haushalt gestopft werden kann. Die Börse reagierte am Freitag freundlich; der Dollar zog leicht an.

Viele Abgeordnete hatten allerdings auch einen ganz persönlichen Gründ für ihr Nein. Abgesehen davon, daß sie sich von ihren Parteibossen übergangen fühlten, steht auch ihre Wiederwahl zur Debatte. Am 4.November wird über ein Drittel des Senats, das gesamte Repräsentantenhaus und über die Gouverneursposten in 36 Bundesstaaten abgestimmt. Und wer für das unpopuläre Paket gestimmt hat, läuft durchaus in Gefahr, seinen Schreibtisch räumen zu müssen.

Der Republikaner Bill Frenzel räumte nach der Abstimmung offen ein, er habe keine Ahnung, wie es nun weitergehe. Den ganzen Freitag über lief das Krisenmanagement auf Hochtouren. Der Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Abgeordnetenhaus, Thomas Foley, kündigte gleich ein Gesetz zur vorläufigen weiteren Finanzierung der Regierung an — um es einzubringen, hatte er bis Mitternacht Zeit.

Bush wiederum hatte schon zuvor angekündigt, er werde gegen alle Zwischenlösungen sein Veto einlegen. Am Freitagmorgen ließ er dann seinen Sprecher Fitzwater mitteilen, er werde mit der Kongreß-Führung noch einmal über die nächsten Schritte beraten. Am 19. Oktober muß das neue Haushaltsgesetz seine Unterschrift tragen. diba