: Opel made in Eisenach: „Symbol der Freiheit“
In der thüringischen Stadt rollte gestern der erste Opel vom Band/ Neue Firma Opel/AWE bietet 200 Arbeitsplätze im alten „Wartburg“-Werk/ What a Wonderful World und Tränen der Rührung: Kohl verbeugt sich vor'm Blech/ Wahlk(r)ampf total ■ Klaus-Peter Klingelschmitt
Eisenach (taz) — Der „Blaumann“ ist tot — es lebe der „Graumann“. Die 200 Werktätigen, die — zusammen mit ihren PartnerInnen — gestern in Eisenach den denkwürdigen Tag der Ersteinführung des Opel- Vectra“ in Thüringen miterleben durften, gehören zur neuen Arbeiterelite Ostdeutschlands. Ausgebildet im Opel-Stammwerk in Rüsselsheim bauen sie jetzt in der 20 Millionen DM teuren neuen Produktionshalle im alten Wartburgwerk für den neuen Arbeitgeber Opel/ Automobilwerke Eisenach (AWE) den Mittelklassewagen „Vectra“ zusammen — im grau-weißen, abwaschbaren Zweiteiler und mit dem neuen technischen „Know-how“ im Kopf.
Nur hundert Meter von der „vectrösen“ Supershow entfernt, die von Opel mit dem Stargast Helmut Kohl in Frontstellung zelebriert wurde, standen sich tausende von „Wartburgern“ in den alten Produktionshallen die Beine in den Bauch — im ausgewaschenen „Blaumann“. „Wir sollen hier die alten Blechkisten weiter zusammenschrauben“, meinte ein junger Arbeiter resigniert, der bei der Vorauswahl der „Umschüler“ durch Opel/ AWE durchgefallen war.
Alle hoffen, daß es mit dem „Wartburg“ weitergeht, denn der Maschinenpark sei doch „relativ neu“. In der Tat: „VEB-Maschinenfabrik Gotha“ steht auf dem Schild an einer Presse — Baujahr 1988. „Wartburg“-Werksleiter Lietke verbreitete denn auch Zuversicht. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Opel einen neuen „Vectra“ in Massenproduktion in Eisenach herstellen wird, werde das DDR-„Vorzeigeauto“ weiter produziert — für die Kundschaft im Ostblock.
In der in nur drei Wochen hochgezogenen neuen Produktionshalle ging es derweil hoch her: Die „Salt- River-Jazz-Band“ aus Bad Salzungen — Tribut an die versalzene Werra — heizte den Ehrengästen ein. Rede- und Tränenfluß um Opel-Wartburg
Und ein sich auf Bierzeltniveau abarbeitender ZDF-Moderator Peter Voß talkte mit den „Promis“ small. Zitat Voß: „Baujahr 1935 — das war noch gute deutsche Wertarbeit.“ Der Eisenacher Bürgermeister freute sich, der Landrat freute sich, Hessens Ministerpräsident Wallmann freute sich, und Opel-Vorstandsboß Houghs freute sich selbstverständlich auch. „Hochzeit“ war angesagt: Fahrgestell mit Karosserie. Und die ersten „Vectras“ standen in Reih– und Glied auf dem frisch gestrichenen grauen Fußboden, über den dann gegen 13 Uhr der Mann im Sauseschritt eilte, auf den alle warteten. Der „Kanzler der Einheit“ kam — und Beifall brandete auf: „Opel — einig Vaterland“ kommentierte ein Kameramann die Szene. Der 1. „Vectra“ made in Eisenach durchbrach danach die Verkleidung auf der Bühne und Kohl durchbrach die Absperrung, mit Wallmann und dem CDU-Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt in Thüringen, Josef Duchac, im Schlepptau. Der Kanzler schüttelte Werktätigen-Hände und suchte das kurze persönliche Gespräch. Tränen der Rührung und der Freude bei den ArbeiterInnen und stehende Ovationen für den Riesen aus Oggersheim.
Was danach kam, war CDU- Wahlkampf in Thüringen. Nach dem Kandidaten Duchac durfte Wallmann zu den Massen sprechen, und dann selbstverständlich auch der Kanzler. So blieb es dem Kapitalisten Hough aus Detroit vorbehalten, nüchtern-sachliche Anmerkungen zu einem „neuen Kapitel der Konzernpolitik“ vorzutragen: Houghs dankte dem Kanzler für die „schelle Einheit“, die den „schnellen Bau“ des Montagewerks erst möglich gemacht habe. Und aus den Lautsprechern dröhnte Armstrongs Hymne an die Zukunft, die zur „Opel-Melodie“ wurde: „What a wonderful world.“ Schwerter hätten die Ostdeutschen zu Pflugscharen geschmiedet und jetzt schmiedet Opel in Eisenach „Eisen zu Automobilen“. Houghs: „Das Auto als Symbol für Mobilität und individuelle Freiheit.“ Da kamen auch dem Kandidaten Duchac fast die Tränen.
Für den Thüringer ist der „Vectra“ ein „Vorbote einer neuen Epoche“. Der polierte „Vectra“ strahlte, die ArbeiterInnen strahlten und Kohl hatte den Knopf gedrückt: „Wir sind ein Volk“ (Kohl) von AutofahrerInnen.
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