Das stille Ende von Pentacon

Der größte ostdeutsche Kameraproduzent wird liquidiert/ 5.600 Beschäftigte von Arbeitslosigkeit bedroht/ Umschulungskonzept gescheitert/ Hoffen auf neuen Kamerahersteller in den alten Hallen  ■ Aus Dresden Detlev Krell

Schon seit Dezember ahnten sie es, und am letzten Tag der DDR bekamen es die Beschäftigten des größten ostdeutschen Kameraproduzenten verbindlich mitgeteilt. Die Treuhand läßt jetzt stillegen. Der Dresdener Betrieb wird bis Ende des Jahres stückweise liquidiert. Mit der Liquidation hat die Treuhand den Heidelberger Rechtsanwalt Dr. Jost Wellensiek beauftragt, der schon einige Erfahrungen bei der Schließung ehemaliger DDR-Betriebe sammeln konnte. 5.600 Beschäftigte vom Pentacon erhalten nun nach Monaten der Kurzarbeit die blauen Briefe.

Überraschend kommt den Pentacon-Werkern das Todesurteil für ihren Betrieb nicht. Pentacon-Kameras waren Billigprodukte auf dem Weltmarkt. Nach der Mittagschen Wirtschaftsdoktrin — Export um jeden Preis — ließen sich die Erzeugnisse des traditionsreichen Dresdener Kamerawerkes gut absetzen. Vom kleinsten Gehäuseteil bis zum Objektiv fertigte Pentacon alles selbst — zum Teil mit großväterlicher Technik. Große Kapazitäten des Betriebes wurden durch militärische Aufträge gebunden. Trotzdem hoffte Pentacon bis zuletzt, das betriebliche Sanierungskonzept über die Kameraproduktionen marktfähig zu machen. Eine neue Kamera, die BX-20S, sollte Ende des Jahres in Serie gehen. Doch die Treuhand gibt den Kameras gegenüber der japanischen Konkurrenz keine Chance.

Auch das großangelegte Umschulungsprogramm im Pentacon-Werk liegt vorerst auf Eis. In einer betrieblichen Zentralstelle für Aus- und Weiterbildung sollten Feinmechaniker, Elektroniker und andere Berufsgruppen für kommunale Dienste, Versicherungen und Banken geschult werden. Wie der Pentacon- Betriebsrat gegenüber der taz erklärte, wird jetzt nur ein Lehrgang bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) weitergeführt — für etwa 40 Kurzarbeiter. Demgegenüber leisteten seit Frühjahr hochqualifizierte MitarbeiterInnen als Spezialabteilungen Kurzarbeit in der Produktion. Das Konzept, einen Großteil der Belegschaft neben der Kurzarbeit umzuschulen, ging nicht auf, weil auch in Dresden bisher Investoren fehlen und niemand kann sagen, wieviel Umschüler für welche neuen Berufe demnächst gebraucht werden. Vielversprechend klingt das Angebot des Elektronikkonzerns Olivetti, in einer Gemeinschaftsaktion mit der Bundesanstalt für Arbeit Pentacon-Werker umzuschulen oder weiterzubilden. Olivetti wurde von der Treuhand, wie der Betriebsrat Pfaff erläuterte, „halb empfohlen halb zugewiesen“ und möchte etwa 2.000 Beschäftigte auf einem beruflichen Umstieg in Krankenkassen, Versicherungen, Logistik und anderen Bereichen vorbereiten. Betriebliche Umschulungsprogramme konnten bisher etwa 500 KollegInnen erfahren.

Welche Firma sich künftig unter dem Ernemamm-Turm, dem Pentacon-Wahrzeichen, einrichten wird, ist ungewiß. Mit dem Liquidationsverfahren werden alle Konzepte kleiner Betriebsteile, eigenständige GmbHs zu bilden, gestoppt und nochmals geprüft. „So könnte aus der stillen Liquidation durchaus auch etwas Neues hervorgehen“, hofft der Betriebsrat vorsichtig. Wie der Liquidator Wellensiek auf der Belegschafts am 2.Oktober mitteilte, ist auch ein neuer Kameraproduzent in den Pentacon-Hallen denkbar. Der Betriebsrat beginnt jetzt die Verhandlungen mit der Treuhand über einen Sozialplan für die Beschäftigten. Viele KollegInnen arbeiten seit Jahrzehnten dort. Der mit der Geschäftsführung ausgehandelte Kündigungsschutz bis 30.6.1991 steht nach dem Bescheid der Treuhand ebenso in Frage wie das Tarifabkommen. Mindestens vier Wochen wird der Kassensturz noch dauern, dann, so Mitarbeiter Rapp, könne die Treuhand sich zu finanziellen Leistungen äußern.

Mit der Pentacon-Schließung wird das Dresdener Arbeitsamt seinen gedämpften Optimismus wieder zurücknehmen müssen. Im September hatte es 1.423 neue Stellenangebote registriert. Erstmals in diesem Jahr erhöhte sich der Bestand an freien Stellen vor allem mit Angeboten für Dienstleistungen und Warenkaufleute sowie für Bauberufe. Die Zahl der Arbeitslosen in der Stadt Dresden stieg bis Ende September auf 10.516, im ehemaligen Kreisgebiet Dresden-Lanz auf 1.554. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent (DDR 4,1 Prozent). 60.942 kurzarbeitende Dresdener müssen allerdings diesen Zahlen hinzugefügt werden, da die meisten von ihnen auf „Kurzarbeit Null gesetzt“ sind.