„In Bonn kann man Platzangst kriegen“

■ Die neuen Bundestagsabgeordneten sind „bewegt“/ Ost-Grüne: „Am schönsten war es in der Volkskammer“

Bonn (taz) — „So teuer wie in diesem Hotelzimmer habe ich in meinem Leben noch nie geschlafen“, erzählt Wolfgang Thierse, ehemals Ost- SPD, von seiner ersten Nacht als Bundestagsabgeordneter in Bonn. Er sei sehr „bewegt“, nun dem Parlament anzugehören, dessen Debatten er 30 Jahre lang „mit Neid auf den öffentlichen Streit“ im Fernsehen verfolgt habe. Das Plenum im Reichstag in Berlin gefiel dem jetzigen stellvertretenden SPD-Vorsitzenden allerdings noch besser als die Sitzung im alten Bonner Wasserwerk: „Da sitzt man schöner, kann dem Gegener direkt in die Augen sehen.“ Hier in Bonn, so Wolfgang Thierse, könne man schon fast Platzangst kriegen.

Genau andersherum empfindet es der Grüne Werner Schulz aus Berlin-Ost. Den Reichstag habe er als „bedrückend“ erlebt. Hier im Wasserwerk sei die Atmosphäre viel angenehmer. Am schönsten, da sind sich zumindest die Ost-Grünen einig, war es jedoch in der Volkskammer. Vera Wollenberger: „Im Bundestag ist mehr Ritual und Routine.“ In der Volkskammer sei wenigstens noch manchmal zugehört worden. „Hier spricht man dagegen wie an eine Wand“, kritisiert die Grüne.

Besonders schwer haben es die PDS-Abgeordneten. Der Parteivorsitzende Gregor Gysi spürt zwar noch ein „gemeinsames Gefühl“ der Abgeordneten aus dem Osten, egal von welcher Partei: „Sie stehen und sitzen noch immer zusammen.“ Er weiß jedoch genau: „Das wird bald versickern.“

Seine Parteifreundin Ruth Fuchs kommt sich bereits vor „wie ein exotisches Tier“. Und Ursula Fischer findet das Verhalten der West-Abgeordneten „unheimlich arrogant“. Die Arbeitsbedingungen für die PDS-Abgeordneten sind denkbar schlecht. Da die Partei keinen Fraktionsstatus hat, muß sie für ihre Sitzungen ein Zimmer im Bonner Presseclub anmieten. Ihre Büros haben die Abgeordneten in einer Art Baucontainer neben dem Bundestag. Im Plenarsaal sitzen die PDSler ganz hinten links, ohne Schreibpult und Telefon.

Thomas Klein von der Vereinigten Linken, der die PDS einen Sitz im Parlament überlassen hat, schlürft in der Bundestags-Bar einsam seinen Tee und wundert sich über gar nichts mehr: „Man muß sich doch nur angucken, wie sich die kleinlauten und schuldbewußten CDU-Leute vom runden Tisch jetzt als Teilhaber an der Macht aufspielen.“

Nebenan am Tresen erklären einige CDU-Abgeordnete ihren neuen Kollegen, wie der Hase in Bonn so läuft. Er sei unglaublich glücklich, jetzt hier sein zu dürfen, meint einer der Ost-CDUler. „Ja, ja“, bremst sein West-Kollege die Begeisterung, „aber ungemütlich eng ist es, jetzt wo ihr da seid.“ Tina Stadlmayer