Frankfurter Buchmesse
: Umbruchzeit — keine Zeit für Bücher

■ Die alten Leitungs-Kader der DDR-Verlage mühen und wenden sich, ihre GmbH's den Konditionen auf dem gesamtdeutschen Buchmarkt anzupassen. Und wo sind die West-AutorInnen mit ihren Themen geblieben?

Das streng postmoderne Café der Frankfurter Kunsthalle „Schirn“ auf dem Römerberg war dezent abgedunkelt, freundliche Kellner servierten trockenen Weißwein, Pils vom Faß und Orangensaft, das kalte Buffet erstreckte sich über mehrere Bankettmeter, als Elmar Faber das Wort ergriff. Der alte und neue Leiter des 1945 gegründeten Aufbau-Verlages Berlin und Weimar versprach (in schönstem „Gewandhaussächsisch“, wie Kenner bemerkten), daß der renommierteste DDR-Verlag im Besitz der ehemaligen Staatspartei SED seinen Platz auch in der neuen deutschen Verlagslandschaft behaupten werde. Der zur GmbH gewendete Verlag hält die Rechte an Christa Wolf, Stephan Hermlin, Franz Fühmann und Heinrich Mann, er soll auch zukünftig „in der ganzen Literaturbreite weiter ausschreiten — von den griechischen Klassikern bis zu Autoren der Gegenwart“. Die key-words der westlichen Kulturindustrie vermischen sich noch ein wenig mit DDR- Vokabular. Mit einer „offensiven Vetriebsstrategie“ und der Forcierung einer „technischen Buchkultur“ soll die „flächendeckende Betreuung“ des Buchmarkts und der Leser gesichert werden. Dazu hat man sich großkapitalistischer Hilfe versichert: Die zum Bertelsmann- Konzern gehörende VVA-Verlagsauslieferung in Gütersloh hat den Vetrieb übernommen, während westliche Grafikdesigner beauftragt wurden, dem Verlag „ein neues, überall wiedererkennbares Gewand“ zu verleihen. Ein „Markenprofil“ des Aufbau-Verlages ist um so dringlicher, als mit dem neu gegründeten „Aufbau Taschenbuch Verlag“ und dem alten „Rütten & Loening Verlag“ zwei weitere GmbHs den neuen Mini-Konzern bilden, dessen „Backlist“ stolze 10.000 Titel enthält. Mit diesem „Fundus“ will man sich „in die internationale Lizenzpolitik einmischen: Jetzt besonders wichtig, weil im neuen Gesamtdeutschland die Originalrechte an Autoren und deren Werken gelten. Nachdem der alte DDR- Buchmarkt „total zusammengebrochen“ ist (Faber), hat der Kampf der ehemaligen SED-Parteiverlage gegen Heyne, Goldmann, Fischer und Rowohlt begonnen.

Der Aufbau-Verlag, dessen langjähriger Leiter Walter Janka 1957 wegen „konterrevolutionärer Verschwörung“ vom Schreibtisch ins Gefängnis wechseln mußte (inzwischen ist er rehabilitiert worden), hatte schon im Dezember 1989 den Zug der neuen Zeit erkannt. Faber entließ 60 seiner 180 Mitarbeiter, ließ sich knapp zehn Millionen Mark aus dem SED/PDS-Vermögen „rückerstatten“ und drängt 1991 mit schon 100 Titeln auf den Taschenbuchmarkt.

Wie bei anderen Verlagen auch, bleiben Eigentumsverhältnisse und Finanzquellen im Unklaren. Formal der jetzt der Bundesregierung unterstellten Treuhandanstalt gehörend, agiert Aufbau schon wie eine eigenständige GmbH-Holding. In anderen Fällen gewährte die PDS den Verlagen befristet zinslose Darlehen aus dem Parteivermögen, das ab 1992, spätestens 1993, verzinst wird und zurückgezahlt werden muß. Die PDS bleibt so im Verlagsgeschäft präsent — wenn auch jetzt mit „1.000 Steuertips“ oder einer Gesamtausgabe des fünfzig Jahre lang verfemten Leo Trotzki, die der Dietz-Verlag vorbereitet.

Nur wenigen der alten DDR-Verlage wird aber eine Chance auf dem freien Buchmarkt gegeben. In einem Punkt haben die neuen alten Verlagsleiter aus Ost-Berlin, Leipzig, Halle und Weimar schon „Weltniveau“ erreicht: Literatur ist ein zu wichtiges Geschäft, als daß man sich durch störende Fragen aufhalten lassen kann. Der Programmdirektor des Aufbau- Verlages gab zu bedenken, ob nicht etwa noch der bedeutende Vertreter des deutschen Expressionismus, Johannes R. Becher, zu entdecken bleibe. Dabei müsse man freilich auch die eine oder andere kritische Frage an die Zeit seines Moskauer Exils stellen. Daß Becher als Präsident des Kulturbundes, Staatsdichter und Kulturminister zum stalinistischen Hymnensänger und Totengräber einer wahrhaft sozialistischen und demokratischen Kultur wurde — wer will das heute wissen? Reinhard Mohr