DAS WORT ZUM MONTAG
: Immer die

■ Oder: Warum die ersten auf einmal die letzen sind

Zwei Tage und Nächte Foren, Gruppen, Gottesdienste, Tanz und Theater, liturgische Nächte in allen christlichen Gemeinden der Hansestadt: Ökumenischer Stadtkirchentag. Drei Themenschwerpunkte: Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung. Am Sonntagmorgen Gottesdienste in zwei evangelischen und einer katholischen Kirche im Stadtzentrum. Aus denen werden die Farben des Regenbogens, Symbol des erneuerten Bundes mit Gott und untereinander, zur Schlußfeier auf den böengezausten Marktplatz getragen.

Ich hatte mir den Gottesdienst im katholischen St. Johann ausgesucht. Weil ich mit dessen Thema „Gerechtigkeit“ einen Sack voll Fragen verbinde, die das Zusammengehen mit der Kultur der Ostdeutschen betreffen, mit denen wir jetzt in einem Staat leben. Ich war, ehrlich gesprochen, ziemlich sicher, daß ich auf diesen Fragen sitzen gelassen werden würde.

Und dann brauchte der Pfaffe in seinem grünen Wams ungefähr zwei Sätze und war beim Thema: Daß es bei der Einheit mit der DDR um soziale Gerechtigkeit gehe und der Bundespräsident das immer wieder gesagt habe. Stimmt, hat der, hat es in mir geknurrt, warum immer nur der, während bei uns auf der ehemaligen Linken lieber philosophiert wird, wie billig die Konzerne die DDR einkaufen und daß die Deutsche Bank das Geschäft Hitlers besorgt, nur natürlich infernalisch viel schlauer als der.

Der Grünrock war inzwischen beim Roland von Bremen gelandet und daß der Symbol der Gerechtigkeit der aufstrebenden Kaufmannsgemeinde war. Und daß soziale Gerechtigkeit jetzt ein bißchen mehr sein müsse als Aufrichten der Gerichtsbarkeit. Und wenn es denn so sei, daß die Länder auf der östlichen Seite Europas die Hauptlast der Kriegsfolgen getragen hätten, wir jetzt für diese Last mitverantwortlich seien. Die Last schließe auch die Vergangenheit derer drüben ein.

So ähnlich hat er gesagt. Genau weiß ich es nicht mehr, weil ich spätestens an dieser Stelle in wütendes Grübeln verfallen bin: Warum tun die sich so leicht mit dem richtigen Wort, diese Konservativen und Pfaffen. Warum kam auf „unserer“ Seite, nach der Zeit des Ekels der Wohlstands-und Reisesatten über die schlechten Tischmanieren der Ausgehungerten drüben, die Zeit der leichtfertig und unerprobt zu Gericht Sitzenden (“haben doch alle mitgemacht da drüben, deutscher Untertanengeist“), und die Zeit der Krokodilssolidarität: Wie schützen wir Ossis vor Kohl und der Deutschen Bank?

Die Antwort wußte ich allerdings vorher: Weil niemand so hoffnungslos hinterm Berge, auch dem der Humantität, sitzt wie die ehemalig Progressiven. Uta Stolle