Stadtmusikantischer Gesamtaufschrei

■ „Etwas anderes als 1 Prozent brauchen wir allemal“

Beim „Kulturkampf“ in der Eislaufhalle zu Bremen Dabeigewesene, wundert Euch nicht über diesen Bericht. Dieses eine Mal soll das sinnlich Wahrnehmbare, der Augenschein, keine Rolle spielen. Vor allem nicht der Ohrenschmerz, die Diffusion im Kopf, den das phonelle Durcheinander erzeugte. Gellendes Mikro-Pfeiffen, heimlicher Vernichtungskampf der Nebeneinanderveranstalter, die Verwandlung von begründeten Angriffe der grünen Bürgerschaftsabgeordneten Helga Trüpels auf ihren kultursenatorischen Boxring-Partner in fieses Fisteln, die Versenkung der Antworten von Henning Scherf ins Unhörbare, alles hier kein Thema.

Thema ist etwas, was früher „qualitatitiver Sprung“ geheißen hätte: die kulturelle Größtkoalition für ein Ende des Bremer Kultursterbens unter der Herrschaft der 86 Mio. Kunstetat, ein stadtmusikantischer Gesamtaufschrei, „etwas anderes als diese 1 Prozent (vom Gesamtetat) brauchen wir allemal.“

Vertreten unter dieser Devise alle unter einem Messedach, vom Goethe- bis Schnürschuhtheater. Tpyisch schon die organisatorischen Pusher. Der hochinstitutionelle HKM-Rektor Jürgen Waller und der Freitheatraliker Norbert Kentrup von der bremer shakespeare company haben auf das Kennenlernen in der kulturpolitischen Reihe „Lebendige Stadt“ diesen kämpferischen Knaller vor der Landtagswahl gesetzt, nicht weil sie sich besonders lieb hätten, sondern weil sie entschlossen sind, diesem Ein-Prozent-Skandal ein Ende zu machen. Wenn es not tut, und es wird not tun, auch damit, daß die shakespeare company nach jeder Vorstellung dazu aufruft, nicht die kulturbanausische Mehrheitspartei zu wählen und mit einem Generalstreik der Bremer Kulturinstitutionen, Kneipen incl., vor der Wahl.

Sinneswandel auch bei den PolitikerInnen, die sich in den in Saalesmitte aufgebauten Boxring zerren ließen. Für eine Aufstockung des Kulturetats sind alle, in Abstufungen. FDP-Fraktionschef Jäger )“Wir haben uns eindeutig festgelegt, daß Bremen für Kultur mehr tun muß“), wiederholte, von Waller in die Enge getrieben, bis zur grammatikalischen Selbstauflösung redundant, daß ihm die 3 Prozent-Forderung zu pauschal ist. CDU- Landesvorsitzender Neumann nutzte die Oppostionsrolle jedenfalls dazu, kulturell nötige als Haushaltsmittel zu fordern, und die Verantwortlichen, den Senat für Abwesenheit zu schelten.

Henning Scherf entwickelte gegen Helga Trüpels Vorwurf, nur „ganz kleine Tropfen auf viele heiße Steine“ zu gießen sein Konzept. Erstens: statt in Personalkosten in Projektfinanzierung investieren. Zweitens: Dafür den Etat jährlich aufbauend auf 147 Mio. für 1995 steigern.

Der erste Anlauf dazu, eine Steigerung für 91 um 5 Mio., war am Widerstand in der SPD-Finanzer gescheitert. Die entsprechende taz-Veröffentlichung hatte kulturkämpferische Folgen. Ein Sketch der shakespeare conmpany zeigte einen armen Hennig, der Bremens untergangsbedrohtes Kulturfähnchen so lange hoch hält, bis ihn der finanzsenatoriale Kollege auf Hemd und schwarzes Strumpfband entkleidet.

Wenn denn die Finanzer mauern, hatte Norbert Kentrup konsequenterweise den Vorsitzenden der Haushaltsdeputation, Detlef Griesche (SPD), in den Ring gebeten. Der versuchte Märchen Scherf den schwarzen Peter wieder in die Hand zu drücken: Der habe dem Haushaltsausschuß gar keinen entsprechenden Antrag vorgelegt. Daß dem aber die Unmöglichkeit von „Mittelaufstockungen“ signalisiert worden war, (über 1.8 umgewidmete Mio. hinaus), vergaß der schlaue Vorsitzende zu erwähnen.

So traf die Inszenierung des freiraum-Theaters mitten auf den Kopf: aus dem großen Box- Schaukampf gegen Jonny Cash (= Finanz) geht Jonny Kult(ur) als strahlender Sieger hervor. Sein Lohn: ein goldener Freiumschlag. Inhalt: Bremer Luft. Uta Stolle