Abschied von der Schutzmacht

■ Des Regierenden Bürgermeisters Auftritt als ideeller deutscher Gesamtbürgermeister: Walter Momper zu Besuch in Washington und Los Angeles/ Partnerstadt LA unterstützt Berlins Olympiabewerbung

Los Angeles/Berlin. Der gestern beendete Besuch des Regierenden Bürgermeisters anläßlich des German- American-Day 1990 war ständig angeweht von Geschichte, zumindest aber ständig umstellt von Mauer- Fall-Fotos, deren Halbwertszeit nur jenseits des Atlantik noch nicht überschritten ist. Am Freitag war Mompers wichtigster Tag in Los Angeles, wo er gemeinsam mit Bürgermeister Tom Bradley die Partnerschaft der beiden Städte vertiefte. Nach 23 Jahren Städte-Schwesterschaft ist nun auch der Ostteil mit dabei. Besonderen Wert legten Momper und Bradley in dem Rahmenabkommen auf den Jugendaustausch. Aber auch Handelsbeziehungen und Kunst-Koproduktionen wurden genannt. Auch die Zusammenarbeit beider Städte bei den Olympiavorbereitungen wurde vereinbart, war LA doch schon zweimal Olympia-Stadt. Außerdem hielt Momper eine Rede vor dem Los Angeles World-Affairs-Council über das Zusammenwachsen Berlins und der Deutschländer. Das Los Angeles World-Affairs-Council ist eine Organisation von mehr als 9.000 Honoratioren der Stadt, die VIPs zu Dinner- und Lunch-Vorträgen einlädt. Hier haben Margaret Thatcher, John F. Kennedy, Willy Brandt, Chruschtschow und Martin Luther King gesprochen. Aus dem gutinformierten Publikum wurden auch kritische Fragen nach dem deutschen Export von Giftgas in den Irak und nach deutschem Neonazismus laut. Um der Inflation historischer Momente überhaupt noch Herr werden zu können, war der Regierende zu seinem USA-Besuch mit einer Concorde eingeflogen: per Überschall von der ersten Bundestagssitzung im Reichstag zum Deutsch-Amerikanischen Freundschaftstag. Diesen begeht die etwa 50 Millionen starke deutschstämmige Gemeinde in den USA seit 40 Jahren — in dieser Woche besonders feierlich. Doch da Geschichte nicht nur in und von Deutschland gemacht wird, traf Momper im Washingtoner State Department auf eine eher geschäftsmäßige Atmosphäre. Schließlich haben Saddam Hussein und das horrende US-Haushaltsdefizit dazu geführt, daß während der deutschen Einigung kein Feiertag eingelegt wurde.

Mit Außenminister James Baker hatte Momper ein 45minütiges Gespräch im »lockeren Plauderton« und natürlich bekam Baker wie alle US- Offiziellen den Berlin-Button verpaßt. Nach Gesprächen u.a. auch über die Stasi-Auflösung, die Schlesier und die polnische Westgrenze kam Baker auch kurz und bündig auf die neuen Weltmachtpflichten Deutschlands zu sprechen: »Beeing more means doing more.«

Auch äußerlich schien im State Department schon eine großdeutsche Normalität eingekehrt zu sein. Wo einst unter den Flaggen in der Lobby des Außenministeriums das Tuch der DDR hing, gähnt schon seit dem 2. Oktober ein Loch. Zwischen Gambia und Ghana repräsentiert nur noch die Flagge der BRD das neue Deutschland. Der Botschafter der DDR, Günther Herder, war schon vor zehn Tagen heimlich, still und leise verabschiedet worden. Die USA suchen nun im Tiergarten, wie zu hören, »intensiv« nach einem Botschaftsgebäude und Charlie B. Skinner, Berlinbeauftragter des State Department, sucht einen neuen Job.

Bei den Deutsch-Amerikanern erhielt Momper donnernden Applaus. Der war ihm auch von deutschen TraditionspflegerInnen, eingeflogenen Ost-Jusos, Immigranten, Altwandervögeln und deutschen Militärs sicher. Auf zwei Empfängen machte besonders die Nationalhymne, gespielt vom Heeresmusik-Chor aus Kassel und eine neue grenzfreie Karte des National Geografic Institute Furore.

In Washington ist der Symbolismus noch nicht so abgenutzt. Im Regierungsviertel wurde ein drei Tonnen schweres Stück Mauer als Sensation aufgestellt. Der Name des Riesenbrocken, der angeblich das größte zusammenhängende Stück Mauer in den USA sein soll, ist »Bloody Erich«. Hans Hermann Kotte