Zwei Männer und ein König

■ Schach-WM Karpow gegen Kasparow: Opus Nummer121/ „Nie zuvor gesehene Züge“

New York (taz) — „Sie haben schon so oft gegeneinander gespielt, sie kennen sich so gut. Das wird bestimmt totlangweilig“, orakelt der englische Schachspieler Nigel Short. Tatsächlich haben Garri Kasparow und Anatoli Karpow schon 120 Partien gegeneinander gespielt, auf der Suche nach dem Schachweltmeister. Nach drei Jahren Pause nehmen die beiden ihr 1984 begonnenes Duell wieder auf: Heute Abend in New York beginnt ihr fünftes Titelmatch — Opus 121.

Vorbeugend versprach Weltmeister Kasparow ein spannendes und interessantes Match und „neue, nie zuvor gesehene Züge“. Bieten muß er auch was, immerhin geht es um 1,5 Millionen Dollar für den Sieger und 0,9 Millionen Dollar Trostpflaster für den Zweitbesten.

Doch die Fetzen sollen möglichst auch außerhalb des Brettes fliegen. Seit ihrem Marathonmatch 1984/85 in Moskau vertragen sich Garri und Anatoli nicht mehr. Den Abbruch nach fünf Monaten, als immer noch kein Sieger feststand, interpretierten beide als Intrige des anderen. Auch politisch gibt es Differenzen: Der Weltmeister gründete vor einem Jahr eine antikommunistische Partei, deren Hauptmäzen er ist. Im Westen würde er sich bei den Konservativen gut aufgehoben fühlen.

Seinen Widersache stellt er bei jeder Gelegenheit als Opportunisten des Systems hin. Karpow, der von der Breschnew-Nomenklatura maßgeblich unterstützt wurde, nahm als Abgeordneter 1988 und 1989 an den KPdSU-Parteikongressen teil. Aber er lehnt politische Stellungnahmen ab.

Der Mensch Karpow ist viel ruhiger, unspektakulärer. Ähnlich seiner Spielweise. Bereits als er 1975 kampflos den Weltmeistertitel zugesprochen bekam, der nach Bobby Fischers Abtauchen vakant war, mußte er um internationale Anerkennung kämpfen. Seine langjährigen Kontrahenten Kortschnoi und Kasparow galt die größere Sympathie der Schachfans. Dabei ist die Zahl seiner Turniersiege und seine technische Perfektion unerreicht.

Das attraktivere Schach spielt Kasparow, der den Auftritt in der Öffentlichkeit liebt, gerne um seine Meinung gefragt wird und zu gerne belehrt. Zur WM hat sich der der Sproß einer jüdisch-armenischen Familie etwas, wie er glaubt, besonders Originelles ausgedacht: Er will die russischen Farben vertreten, die vor der Oktoberrevolution galten. Das tue er aus Solidarität mit den Oppositionellen in der UdSSR, tönt er. Was eher stimmt: Er sucht die Abgrenzung von seinem original-russischen Gegner.

Der Schachkrieg in New York ist also durchaus nicht nur für Insider interessant. Trotzdem hat Sponsor Ted Field, der sein Geld mit Kinoschnulzen à la Drei Männer und ein Baby gemacht hat, Grund zur Skepsis: „Sie können die besten Partien spielen, es sind eben zwei Russen“, erklärte ein US- Großmeister.

Das 60,5:59,5-Score der bisherigen WM-Partien zwischen Garri und Anatoli zeugt von ihrer Ausgeglichenheit. Aber während Karpows Sekundantenteam eingespielt ist, muß sich Kasparow auf teilweise neue Leute einstellen. Körperlich ist der 27jährige Kasparow als aktiver Sportler dem tennisspielenden 39jährigen Herausforderer überlegen. Für die psychische Stabilität ist jedoch der Wettkampfverlauf entscheidend. Beide Spieler können Niederlagen wegstecken.

Bewährtes Mittel sind dann Auszeiten, über die beide je dreimal verfügen können. Nach der ersten Wettkampfhälfte zieht die WM nach Lyon um. Bevor es dort am 23.November weitergeht, ist mindestens zehn Tage Pause. Wenn die Auszeiten bevorzugt in Lyon verbraucht werden, dauert es bis nach Weihnachten, bis der Champion feststeht. Stefan Löffler