“Der bester Ehemann ist ein toter Ehemann“

■ An der Universität Bremen wird untersucht, warum Frauen aus Deutschland auswanderten

Als der deutsche Journalist und Schriftsteller Arthur Holitscher 1912 über Chicago schrieb, stellte er fest, daß hier „mehr Deutsche als in Hamburg, mehr Schweden als in Stockholm, mehr Juden als in Palästina“ leben. Tatsächlich waren zu dieser Zeit 75 Prozent der Stadtbevölkerung Einwanderer. Die größten ethnischen Gruppen waren Deutsche, Iren, Polen und Schweden, etwa die Hälfte Frauen.

Um Untersuchungen zum Auswanderungsprozeß von Frauen vorzustellen und Parallelen zur Gegenwart zu ziehen, diskutierten vom 4. bis 7. Oktober 35 Wissenschaftlerinnen in Worpswede. „Frauen im Migrationsprozeß“ lautete das Thema der Tagung, auf der auch die Ergebnisse des gleichnamigen Forschungsprojektes der Universität Bremen dargestellt wurden.

Welche Rolle haben Frauen in diesem Wanderungsprozeß gespielt, welche Aufgaben, Funktionen und Positionen hatten sie im Einwanderungsland inne? Dies sind nur einige von vielen Fragen mit denen sich das Uni- Projekt, das von der Volkswagenstiftung unterstützt wird, beschäftigt.

„Allgemein kann man sagen“, meint Christiane Harzig, die Koordinatorin, „daß Frauen immer ziemlich genau wußten, wieviel Lohn sie im anderen Land bekommen würden und welche Areitsmarktsituation sie erwartet.“ Das habe sich offenbar auch heute kaum geändert. Bei Familienauswanderungen sei die Entscheidung, wer zuerst ausreist, überwiegend davon abhängig gewesen, welche Chancen für sie/ihn auf dem Arbeitsmarkt bestanden. Da in den USA Anfang des Jahrhunderts der Dienstleistungsbereich enorm ausgebaut wurde, wären das nicht selten Frauen gewesen.

„Die USA waren für die Frauen wesentlich atraktiver als für Männer“, meint auch Donna Gabaccia (Mercy College New York), ebenfalls Teilnehmerin der Tagung. Das könne ein Grund dafür sein, daß Frauen öfter am neuen Ort blieben als Männer. Dabei sei der Weg zur Selbstständigkeit außerordentlich mühselig. Nicht selten war der Dienstmädchenjob erster Einstieg in die neue Arbeitswelt.

Insgesamt kristalisierten sich bei den Migrantinnen drei Gruppen heraus: Die größte verband wirtschaftliche Gründe, vor allem das Hoffen auf eine „bessere Zukunft“. Stärker als die Männer formulierten diese Frauen, daß sie für ihre Kinder das Beste wollten, zum Beispiel einen qualifizierten Beruf.

Eine zweite, wesentlich kleinere Anzahl von qualifizierten Frauen, versuchten durch Migration den Einschränkungen eines bürgerlichen Haushaltes zu entgehen. Sie arbeiteten im Ausland oft als Haus- oder auch Musiklehrerinnen und lebten nicht selten allein.

Eine dritte Gruppe, in der sich besonders viele Irinnen befanden, entzog sich der Familie ganz, indem sie in den USA als katholische Nonnen versuchten Karriere zu machen. Nicht selten wurden sie Ordensvorsteherin und pflegten den Ausspruch: „Der beste Ehemann ist ein toter Ehemann“.

„Ein ganz überraschendes Ergebnis dieser Tagung war“, sagt Christiane Harzig, „daß es anscheinend ganz viele Parallelen gibt zwischen den türkischen Strukturen im Berliner Kreuzberg und den Deutschen Nachbarschaften im Chikago anfang dieses Jahrhunderts“. Auch damals hätten sich besonders Frauen in den Wohn- und Kleingewerbegebieten engagiert. Sie arbeiteten in zahlreichen Läden, kleineren Industriebetrieben, Backfabriken, Konserven-und Kortonfabriken. Dabei waren die 540.000 deutschstämmigen Arbeiterinnen hinter den Irinnen die zweitgrößte Gruppe in der weiblichen Arbeiterschaft der USA.

Später entwickelte sich sogar ein regelrechtes Netzwerk von selbstbewußter Frauenkultur, das noch kaum erforscht ist. Da gab es Frauenseiten in den bürgerlichen Zeitungen und zahlreiche Aktivitäten von Frauenvereinen. Zwei Zeitungen erschienen in regelmäßigem Turnus, die Frauenzeitung der Illinois Staats-Zeitung (FZ) und die Chicagoer Frauenzeitung (CFZ).

Was auf der Tagung in Worpswede immer wieder betont wurde, ist die Notwendigkeit bei der „Erforschung der Geschichte Frauen in ein Beziehungsgeflecht einzubinden und die historische Wirklichkeit neu zu bewerten“.

Birgit Ziegenhagen