Entsetzlich! Ganz Berlin wird zur kommafreien Zone

■ »Begrenzte Rechtschreibreform« der AL-nahen Schulsenatorin löst Erschütterungen im ganzen Bundesgebiet aus/ Überall bricht orthographische Anarchie aus

Berlin. Wird Berlin zum kommafreien Gebiet? Wird eine neue orthographische Mauer rund um unsere Stadt errichtet? Und welche Regierungsinstanz hat mit welcher Gesetzeskraft im Gebiet der ehemaligen DDR über die Regeln der Silbentrennung verfügt? Das alles sind schreckliche Fragen, die ein in seinen Konsequenzen offensichtlich nicht überdachter Vorstoß der AL-nahen Schulsenatorin Sybille Volkholz ausgelöst hat. Frau Volkholz nämlich ließ sich bei der Kultusministerkonferenz Ende vergangener Woche ihren Vorschlag absegnen, eine »begrenzte Rechtschreibreform« durchzuführen.

Danach dürfen Berlins Deutschlehrer bisher verbotene Kommata vor den Konjunktionen »und« beziehungsweise »oder« sowie bei Infinitiv- und Partizipalkonstruktionen (»Zum Ausflug bereit war die Klasse auf dem Schulhof versammelt«) nicht mehr als Fehler anstreichen. Außerdem dürfen Schüler Wörter zukünftig auch nach Sprechsilben und nicht nur nach Stammsilben trennen (»Pä-da-go-ge« statt bisher nur »Päd-ago-ge«, »da-rum« statt »dar-um«, »Fens-ter« statt bislang bloß »Fen-ster«).

Eine noch weiter gehende Reform, so war aus dem Hause der Senatorin zu hören, war nicht drin. Sie hätte nämlich das im Jahre 1901 festgelegte und seitdem gültige Rechtschreibregelwerk außer Kraft setzen müssen. Die Abschaffung aller Kommata beispielsweise könne nur der Bundesinnenminister in Abstimmung mit den anderen deutschsprachigen Ländern verfügen.

Hätte er es doch getan! Nun werden Zehntausende, nein sogar Millionen von Lehrern und Schülern, Schreibern und Lesern von existentiellen Ungewißheiten erschüttert.

Denn was soll nun passieren mit all den befreiten Kommata, die sich über die Berliner Kommagrenze hinweg auf das bundesdeutsche Land ergießen? Müssen die Redemanuskripte Berliner Politiker zukünftig vor der Verbreitung im Bundesgebiet durch die Zensur der Duden-Redaktion gehen? Wird ein »Fens-ter« im Gebiet der ehemaligen DDR mit rotem Stift nun geahndet oder nicht? Wie lange soll überhaupt noch der Zustand der orthographischen Anarchie in den ostdeutschen Landen geduldet werden, da es dort doch keinerlei Länderinstanzen mit Verfügungsgewalt über Partizipalkommata, Infinitivkonstruktionen und die korrekten Arten der Silbentrennung gibt? Hat es der Stalinismus doch tatsächlich geschafft, sogar das Prinzip: »Alle Kommata gehen vom Volke aus«, abzuschaffen.

Die Kultusminister der existierenden Bundesländer im Westen jedoch sollen die separatistischen Vorstellungen in Berlin auch nur mit einem Kopfnicken gutgeheißen haben, ohne sich dazu weiter zu äußern. Und nun weiß weder im rot regierten Schleswig-Holstein noch im schwarzen Bayern derzeit irgendein Vertreter irgendeines Ministeriums die Frage zu beantworten, ob die neue Berliner Silbentrennung vielleicht doch noch übernommen und legalisiert wird. »Die Volkholzschen Kommata werden uns mit voller Wucht treffen«, befürchtet der Pressesprecher des bayerischen Kultusministeriums schon jetzt. Aber, so versichert er gütlich, »Berliner Kommata werden wir nicht rausredigieren«.

Auch für die Berliner Pressse sind die Folgen unabsebar. Worum noch sollte sich eine Redackteurin oder ein Repporter Ins Joch der Orttografie fügen wo jetz schon die schüler schreiben dürffen wi sie wollllen. Ute Scheupp