Böse Sänger kennen Lieder

■ Der Ex-Bauhäusler Peter Murphy im Metropol

The stage becomes a ship in flames/ I tie you to the mast/ throw your body overboard/ the spotlight doesn't last/ [...] Call the curtain/ raise the roof/ spirits on tonight«, faßten 1982 »Bauhaus« das Gefühl zusammen, das herrschen müßte, wenn die ganz persönlichen Götter ein Konzert gaben und kein Weg dorthin zu weit war. So geschehen zum Beispiel am Sonntag, als Peter Murphy, der ehemalige Sänger dieser Band, gleich um die Ecke, im Metropol, auftrat, um mit einem Teil seiner Band »The Hundred Man« die dritte Soloplatte vorzustellen.

Peter Murphys Sologang ist mit Mühsal beladen. Der große Sprung in die allgemeine Popularität ist ihm nach sechsjährigem Versuch immer noch nicht gelungen. Andersherum bleibt ihm aber auch der Kultstatus verwehrt, der genialen Einzelgängern von einer Schar Eingeweihter zugebilligt wird. Dazu schiebt er unter seine Texte einfach zu gefällige Melodien. Seine Vergangenheit haftet an Murphy wie Pech und verträgt sich in den Ohren der ehemaligen »Gothic«-Gemeinde nicht so recht mit den neuen sanften Tönen. Seinem Ruhm als einstiger Sänger von »Bauhaus« hängt Murphy selber nach. Zu einem der wenigen ehrlichen Stücke auf Deep (The Line Between the Devil's Teeth) sagt er: »Auf einmal erinnerte es mich an In The Flat Field von Bauhaus. Auch der Text ist in dieser theatralischen Tradition. Die Linie zwischen den Zähnen des Teufels ist die dünne Linie, die man einhalten muß«, als ob er wüßte, daß seine beste Zeit unwiederbringlich vorbei ist. Trotzdem oder deswegen versucht er, sich mit dem früheren Anspruch zu messen. So wahren seine Texte wie seine Person selber auch jetzt noch den androgynen Anstand. Heterosexuelle Triebhaftigkeit ist ihm genauso ein Tabu wie banaler Liebeskummer. Love Hysteria (1988) findet immer nur auf einer abstrakten Ebene statt, auf den Promotionfotos posiert Murphy in kokett »weiblichen« Haltungen.

Wie um sich selbst nach der Veröffentlichung von Deep doch noch um einen Kultstatus verdient zu machen, lieferten die Musiker im Metropol das Publikum, mittlerweile in seiner Anzahl dazu Anlaß bietend, ohne Pause und Ansprachen einem Wechselbad aus den beiden letzten Platten aus, zehnmal wilder als kühn erhofft, keine Atempause zum Applaudieren gewährend. Peter Murphy holte im Metropol seine Vergangenheit ein.

In schwarzer Jacke mit Reißverschlüssen, gegenwärtiger Mode völlig abhold, sie abgeworfen darunter ein simpler Nicki, die Haare wieder dunkel und die Streichholzschenkel von schwarzem Elastikstoff nachgeformt, krümmte er endlos oft, den Nacken einem Vogel ähnlich verrenkt, den spindeldürren Körper. Auf einem Bein zu stehen und die Hüfte zu Gummi werden zu lassen war eins. Das Mikrophon hielt er wie eine Teetasse, Zähne zeigte er, als hätte er mehr als 32, und sprang herum und drehte sich im Kreis, als gelte es zu beweisen, daß ein Peter Murphy ohne Alter sei. Und setzte dreist berechnend gleich zu Beginn ein, was das Publikum bis zum Schluß gefangen halten sollte: seine Augen, die allein im Scheinwerferlicht die linke Ecke durchbohrten. Da war er also wieder, der »Dämon«, der doch nur ein unverbesserlicher Narziß in selbstverliebter Ekstase ist. Nur Murphys Stimme ist nicht mehr ganz die frühere. So herzzerreißend unkontrolliert schluchzen wie 1981 in Nijwegen, als er von den Hollow Hills sang, wird Murphy nie mehr. Aber jung und zornig wie zu Zeiten von The Sanity Assassin ist die Stimme geblieben.

»Düster« ist die Vokabel, die unfreiwillige Hörer von »Bauhaus« zu Text und Musik garantiert einfällt. »Bauhaus« machten aber den Raum unendlich und die Zeit bedeutungslos. »Squash every week into a day.« Sie ließen zwischen Anfang (Fish) und Ende (Kingdom's Coming, Causes Chaos...) die Dinge neu zusammentreffen, um endlich zu finden, was hinter diesen steht, und doch nur zu der Erkenntnis zu kommen: »Life is but a dream.« Und pflegten in drogenähnlicher Ekstase, auch im Größenwahn ohne Kontrollverlust, die Sehnsucht nach irgendwohin. Das »Düstere«, Tod und Hölle und Seelenpein, wurde, halluzinativ, assoziativ betrachtet, als selbstverständlicher Bestandteil des Daseins akzeptiert und war damit nicht mehr »düster«, sondern einfach da.

Etwas von dieser Haltung hat Murphy sich bewahrt. Bibliotheken sind voll der Schlüssel zu Weisheiten, Erlösertrauben haschen zu wollen ist jedoch naiv: »Whirlpools whirl/ drangnets drag/ Hell is not the fire/ hell is your belief/ In yourself as the higher«, sang Murphy 1988, um jetzt in Erinnerung an alte Zeiten mit jenem The Line Between the Devil's Teeth fortzusetzen. Darüber hinaus wird jedoch in Geheimnissen nicht mehr herumgestochert. Statt dessen werden sie sorgsam gehütet. Sie könnten sonst verschwinden. Peter Murphy hat ein bißchen Frieden gemacht mit der Welt und übt sich — auf Vinyl — mit weiser Stimme, die die Kämpfe hinter sich hat, in Bescheidenheit und Geduld, in inneren Werten und Erinnerungen an die Mutter mit Wiegenliedern der Northhamptonschen Heimat. Das hat er im Metropol geschickt vergessen und gesungen als einer, der die Welt immer noch aus den Angeln heben will. Und er hat das Publikum tatsächlich am Mast festgebunden und das Dach von den Grundmauern gehoben. Claudia Wahjudi