WTRA Radio Springfield sendet illegal

■ In den amerikanischen Armenvierteln werden „Mikro“-Radios immer beliebter

In den USA macht derzeit die wohl kleinste Radiostation der Vereinigten Staaten Schlagzeilen. Dewayne Readus ist der Betreiber von WTR Radio oder Zoom Black magic Liberation Radio, wie die Station sich nennt. Das an sich ist noch keine Besonderheit. Aber, WTRA sendet ohne Lizenz der Fernmeldebehörde der USA FCC und somit nach US- amerikanischem Fernmelderecht illegal.

Angefangen hatte alles 1986, als sich eine Mietervereinigung in Springfield an die lokalen Medien wandte, von ihnen aber völlig ignoriert wurde. „Wir waren frustriert und kamen zu der Einsicht, daß diese Leute überhaupt nicht wissen wollten, daß wir hier sind“, berichtet Dewayne Readus, in dessen Wohnung das Studio und die Sendeanlagen eingerichtet sind. Man bestellte die Bauteile für den Sender bei einem Elektronikversand, errichtete eine Antenne, und im November 1986 war WTRA erstmals auf Sendung. In den USA hat jede Rundfunkstation ein Rufzeichen, bestehend aus einer Kombination von vier Buchstaben, beginnend mit „W“ beziehungsweise „K“, „TRA“ steht für Tennant Rights Association (Mieterrechtsvereinigung). Zunächst sendete man nur in Nächten am Wochenende, ab Januar 1989 war die Station dann sieben Tage in der Woche aktiv.

Im April 1989 erreichten die Betreiber von WTRA Meldungen über brutale Polizeiübergriffe auf Bewohner des Viertels, in dem sich auch der Sender befindet. Fälle von ungerechtfertigten Inhaftierungen, tätlichen Angriffen, Belästigungen, Mißhandlungen und die blutige Beendigung eines Geiseldramas lösten heftige Reaktionen innerhalb der Gemeinde aus. Der Sender begann mit der Ausstrahlung von Interviews mit Leuten, die von sich behaupteten, Opfer von schlechter Behandlung durch die Polizei gewesen zu sein. Von nun an interessierte sich plötzlich der örtliche Polizeichef für WTRA und deren Sendungen und meldete den Betreiber der amerikanischen Fernmeldebehörde FCC.

Noch im gleichen Monat erhielt Readus Besuch von einem Beamten der FCC in Begleitung von fünf Polizisten. „Sie erklärten mir während der Sendung, daß ich das Gesetz brechen würde und die Sendung abbrechen müßte.“ Das tat Readus dann auch, jedoch nicht bevor er über den Sender allen Hörern dies mitteilte.

Im Mai 1989 entschied sich Readus für eine Wiederaufnahme des Sendebetriebs, um verhaftet zu werden und auf diese Weise Aufmerksamkeit für die Angelegenheit zu erwecken. Denn nur zwei Prozent aller Radiostationen in den USA werden von Minderheiten betrieben. Laut Readus gibt es mehr als 4.000 unlizensierte Radiostationen in den USA, von denen die meisten aber kommerziellen Zwecken dienen. Perspektiven und Meinungen von Menschen mit niedrigem oder gar keinem Einkommen oder Minderheiten werden in den US-amerikanischen Massenmedien unzureichend oder gar nicht repräsentiert.

Bei der Produktion der Sendungen wird Readus von Jugendlichen des Viertels unterstützt, die mit viel Einsatz und Ideen eigene Programme produzieren. Auf diese Weise werden sie von der Straße weggeholt und zu einem aktiven Einsatz für die eigene Sache geführt. Die Station sendet täglich ab 18 Uhr. Neben Informationen sendet man in den kommerziellen Rundfunkstationen unterdrückte Musik wie Reggae und Rap von Gruppen wie NWA (Niggers With Attitudes) oder Public Enemy, die in ihren Texten offen und aggressiv Mißstände in den USA wie die allgemeine Benachteiligung von Schwarzen kritisieren. Musik jedoch, die Drogenkonsum, Materialismus oder Sexismus huldigt, wird man in den Programmen nicht hören. Daher wurden zum Beispiel Songs des schwarzen Musikstars Prince aus den Musikprogrammen verbannt.

Der Informationsteil besteht aus Telefongesprächen mit HörerInnen, die live oder per Aufzeichnung in die Sendung eingebaut werden und aus eigenen Statements zur lokalen Machtstruktur der Weißen gegen die Schwarzen. Desweiteren spielt Readus Kassetten mit Lesungen von Büchern über Geschichte und Kultur der Schwarzen. Auf diese Weise hören die meisten Schwarzen, die wohl sonst keines dieser Bücher je in die Hand genommen hätten, erstmals etwas über ihre eigene Geschichte. Dewayne Readus kann diese Bücher selbst nicht vorlesen, da er blind ist und es Bücher über schwarze Kultur nicht in Blindenschrift gibt.

Der Sender hat eine Leistung von nur einem Watt, und zu hören ist Zoom Black magic in einem Umkreis von nur etwa 1,5 Meilen. Doch trotz der begrenzten Reichweite erreicht der Sender 75 Prozent der Schwarzen der Stadt. Groteskerweise ist die geringre Sendeleistung ein Grund für die Illegalität. Bis zum Jahre 1978 erlaubte die amerikanische Fernmeldebehörde FCC, die für die Verteilung von Sendelizenzen zuständig ist, Stationen mit einer Sendeleistung ab zehn Watt den Betrieb. Dann ging man jedoch dazu über, nur noch Stationen mit einer Leistung von mindestens 100 Watt eine Lizenz zu erteilen, um so eine erhöhte Effektivität von Radiostationen durch ein erweitertes Sendegebiet zu erreichen. Der Betrieb einer 100-Watt-Station kostet jährlich 50.000 bis 60.000 US- Dollar — eine Summe, die kaum jemand ohne weiteres aufbringen kann. Laut Dewayne Readus wurde den ärmeren Menschen damit ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung genommen.

Verständnis und teilweise Unterstützung erhält das Projekt ebenso von bekannten amerikanischen Medienkritikern wie von zahlreichen Privatleuten überall im Land. Schon haben sich ähnliche „Mikro“-Radios in anderen Städten angekündigt, die Idee verbreitet sich wie ein Bazillus unter den Bewohnern armer Viertel in den Metropolen, und es beginnt sich ein „Zoom Black magic Movement“ zu entwickeln. Harald Kuhl