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Farbenwettstreit in Sachsen-Anhalt

Im Wahlkampf konkurriert grün-gelb-schwarz gegen schwarz-rot-gold/ Kann die SPD ihre Wahlschlappen ausgleichen oder verliert sie gar gegen den No-name-Kandidaten der CDU?/ Die Blockparteien sitzen auf riesigen Mitgliederbeständen  ■ Aus Magedeburg Jürgen Voges

„Aus jedem Weg macht die SPD nun eine Reinhard-Höppner-Allee“, spotten die Jugendlichen im Café an der Magdeburger Breiten Straße, die bis zur Wende Karl-Marx-Straße hieß. In Magdeburg lächelt der Spitzenkandidat und Vizepräsident der Volkskammer tatsächlich schon jetzt von den meisten Laternenpfählen auf die Autofahrer herab — und damit haben die Sozialdemokraten im Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt bisher zumindest rein zeitlich die Nase vorn. Die CDU will den Wahlkampf in den letzten „drei heißen Wochen“ abhandeln, auch die FDP beginnt erst, ihren Spitzenkandidaten zu verkleben, und bei den Grünen und den Bürgerbewegungen werden zur Zeit die gerade gedruckten Plakate von Magdeburg aus an die Kreisorganisationen weitergeleitet.

Voller Zweckoptimismus wird Reinhard Höppner auf den SPD-Plakaten als „unser Ministerpräsident“ präsentiert. Doch bisher haben die Sozialdemokraten auch in Sachsen- Anhalt nur wenig besser abgeschnitten als in der übrigen DDR. Mit 47 Prozent für die Allianz für Deutschland, knapp 24 Prozent für die SPD, 14 Prozent PDS, acht Prozent Liberale und knapp vier Prozent für Bürgerbewegungen und Grüne lag Sachsen-Anhalt bei den Volkskammerwahlen durchaus im Trend der Gesamt-DDR.

Die SPD wirbt mit einem „kleinen Rau“

Natürlich rechnet sich das „Wahlkampfteam“ in der SPD-Landesgeschäftsstelle dennoch Chancen für seinen Kandidaten aus. „Anders als bei den Volkskammer- und den Kommunalwahlen wird jetzt nichts mehr dem Zufall überlassen“, sagt Teamchef Reinhard Schmidt-Künzel, der eigentlich im NRW-Innenministerium dem Ministerbüro vorsteht und für die Wahlkampfzeit nach Magdeburg abgeordnet ist. Das „gut zwölfköpfige“ Wahlkampfteam ist paritätisch aus Ost- und West-SPDlern zusammengesetzt: „Wir arbeiten dabei nach dem Ost-West-Tandem-Prinzip“, sagt Schmidt-Künzel. „Die DDR-Leute sagen ihrem Tandempartner aus dem Westen, was sie machen wollen, und der hilft ihnen dann bei der handwerklichen Umsetzung.“ Lediglich 8.000 Mitglieder zählt die SPD in Sachsen-Anhalt mit seinen 2,3 Millionen Wahlberechtigten. Für die optische Präsenz der Sozialdemokraten sorgen diesmal nicht mehr die Mitglieder, sondern die Ostberliner „Idea-Agentur“, die im Auftrage der SPD landesweit plakatiert.

Das grün-gelb-schwarze Landeswappen von Sachsen-Anhalt findet sich auf allen SPD-Plakaten. „Wir setzen auf die Identifikation der Bürger mit ihrem Land und vor allem auf unseren besseren Spitzenkandidaten“, sagt Schmidt-Künzel, der aus dem Landtagswahlkampf kein Duell „Kohl gegen Lafontaine“, sondern eines zwischen „Reinhard Höppner gegen Dr. Gies von der CDU“ machen will.

Konkurrenten mit kirchlichem Hintergrund

Der 41jährige SPD-Spitzenkandidat wurde 1980 Präses der Synode der Kirchenprovinz Sachsen und war schon vor der Wende ein Repräsentant der kirchlichen Opposition in der DDR. Der promovierte Mathematiker, achtzehn Jahre lang Fachbereichsleiter beim Akademie-Verlag, stammt aus einer Pfarrersfamilie und ist mit einer Magdeburger Pastorin verheiratet. Er hat nicht nur im vergangenen Jahr in der Bewegung des Herbstes in Magdeburg eine wichtige Rolle gespielt, er gehörte auch zum Gründerkreis der DDR-SPD. Sein Wahlkampfleiter möchte ihn allerdings am liebsten als zweiten Johannes Rau sehen. „Er ist unserem Ministerpräsidenten nicht ganz unähnlich“, schwärmt Schmidt-Künzel, „auch ein Meister der Kleinen Form und vor allem des persönlichen Gesprächs.“

Daß Reinhard Höppner „zur Zeit natürlich bekannter ist als Dr. Gies“, das gibt man auch bei der CDU unumwunden zu. „Schließlich sieht man Herrn Höppner bei allen Volkskammersitzungen im Fernsehen“, sagt die Sprecherin des CDU-Landesverbandes, Ursula Böwe. Der 47jährige Tierarzt Gerd Dies aus Stendal war zwar auch einmal Präses der evangelischen Kreissynode in Osterburg, hat allerdings seine Karriere bei der CDU schon zu Blockparteizeiten begonnen. 1970 trat er der CDU bei und ließ sich schon 1987 als Vorsitzender des Kreisverbandes Stendal wählen. Gies saß als Volkskammerabgeordneter im Ausschuß „Deutsche Einheit“ und ist auch Vorsitzender des CDU-Landesverbandes, der in Magdeburg immer noch in demselben repräsentativen Gebäude an der Lübecker Straße sein Domizil hat wie vor der Wende.

Die CDU setzt auf den „Gedanken der Einheit“

Natürlich will auch die CDU mit Porträts ihres Spitzenkandidaten („Unser Mann für Sachsen-Anhalt“) werben. Aber im Hintergrund werde im Wahlkampf immer der Gedanke der deutschen Einheit stehen, sagt Ursula Böwe. Gestartet wurde der CDU- Wahlkampf am 23.September mit einem Besuch Kohls in Magdeburg, der seitdem auf Plakaten als „Kanzler der deutschen Einheit“ für die CDU wirbt. Die CDU-Wahlplakate sind allesamt schwarz-rot-gold aufgemacht: Da stehen auf Fahnenhintergrund nur die Worte „Einigkeit und Recht und Freiheit“, oder da „freut sich“ ein Pärchen umschlungen von einem Schal in den nationalen Farben „auf Deutschland“. „Solche Schals verkaufen wir dann auch“, sagt die Pressesprecherin.

Die Plakate, auch die des Spitzenkandidaten, wurden in Bonn entworfen. Den Wahlkampf wird der CDU- Landesverband allerdings „soweit wie möglich in eigener Regie gestalten“. Der hauptamtliche Apparat dafür ist vorhanden. Nach der Übernahme des Demokratischen Bauernbundes hat der Landesverband jetzt 27.000 Mitglieder und damit mehr als zu Blockparteizeiten.

Noch überboten in der Mitgliederzahl wird die CDU in Sachsen- Anhalt von den 30.000 Freidemokraten, die mit dem Hallenser Medizinprofessor Hans-Herbert Haase- Lettin in den Wahlkampf ziehen. Auch wenn die blau-gelben FDP- Plakate für „Das liberale Sachsen- Anhalt“ ebenfalls in Bonn gestaltet wurden, geben sich die Freidemokraten des Landes vor allem bodenständig und traditionsbewußt. „Als einziges Land in ganz Deutschland wurde nach dem Krieg Sachsen-Anhalt von einem Liberalen regiert“, sagt FDP-Landesgeschäftsführer Dieter Scholze und hofft auf Wähler mit gutem Langzeitgedächtnis.

Im alten Parteihaus der LDPD, in dem der FDP-Landesverband residiert, hängt ein Bild des liberalen Ministerpräsidenten Hübener an der Wand. „Bei der ersten und einzigen freien Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Jahre 1946 haben die Liberalen mehr als ein Viertel der Stimmen erhalten, wir waren die liberale Hochburg von ganz Deutschland“, sagt Scholze stolz und verweist auf die zehn Prozent, die die Freidemokraten in Hans-Dietrich Genschers Geburtsstadt Halle bei den Kommunalwahlen erzielen konnten. Den einzigen liberalen Ministerpräsidenten hat Sachsen-Anhalt allerdings der Sowjetunion zu verdanken. Natürlich hat Ministerpräsident Hübener dieses Amt auch auf Wunsch der Militärkommandatur übernommen, gibt der FDP-Landesgeschäftsführer unumwunden zu.

Ihren Wahlkampf in Sachsen-Anhalt will die FDP „ohne hauptamtliche Unterstützung aus dem Westen“ führen. Sie hat schließlich Mitgliederzahlen und einen hauptamtlichen Apparat bis hinunter auf die Kreisebene, wie es sich die FDP im Westen nur erträumen kann.

Die PDS mußte kräftig abspecken

Die Partei, die in Sachsen-Anhalt nach der Wende radikal abspecken mußte, ist die PDS. Zwar residiert sie immer noch im riesigen verschachtelten Magdeburger Ernst- Thälmann-Haus. Doch aus ehemals drei SED-Etagen ist eine der PDS geworden — und auch hier stehen bereits viele Zimmer leer. „Als ich hier vor einem dreiviertel Jahr angefangen habe, waren wir 120 Leute in einer einzigen Abteilung des Bezirks, jetzt sind wir noch insgesamt 287, und die werden auch nicht alle bleiben“, sagt Regina Gernroth aus dem PDS-Landeswahlbüro. Die Partei zähle in Sachsen-Anhalt aber immer noch zwischen 52.000 und 55.000 Mitglieder.

PDS-Spitzenkandidat ist der 35jährige Diplomökonom Roland Claus, der als einziger der Kandidaten auf den Wahlplakaten in ganzer Größe zu sehen sein wird. „An unserer Parole ,Zukunft hat ein neues Zeichen — PDS‘ haben wir gebrütet“, sagt Regina Gernroth. Roland Claus war erst FDJ-Funktionär, ist dann in einem Kreis quasi strafversetzt worden, sagt sie.

Bürgerbewegungen und Grüne vereint

Wie man es von bundesdeutschen Wahlen gewohnt ist, werden auch in Sachsen-Anhalt nur die Grünen und die mit ihnen verbündeten Bürgerbewegungen ohne plakatierte Köpfe in den Wahlkamf ziehen. Die Grüne Liste/Neues Forum, zu der in Sachsen- Anhalt auch der Unabhängige Frauenverband, Demokratie Jetzt und die Inititative Frieden und Menschenrecht gehören, wirbt auf Umweltschutzpapier mit Regenbogen, Sonnenblume, Schmetterling und Friedenstaube für eine „ökologische, soziale und gewaltfreie Zukunft“ und mit der Forderung „Es wird Herbst — Bürger bewegt Euch!“ Die Grüne Landesgeschäftsführerin Maria Nitschke, auf der offenbar die Hauptlast der Wahlkampfvorbereitung liegt, ist völlig überarbeitet, weiß nicht mehr, was sie zuerst und zuletzt machen soll: „Davon, daß ich dann um zwei Uhr nachts hier am Computer vor Übermüdung einnicke, werden die Rundschreiben auch nicht fertig“, sagt sie und müßte jetzt eigentlich gleichzeitig am Bildschirm sitzen, sich der Plakatzuteilung an Kreisverbände widmen und mit der Presse reden.

Zwei Straßen vom Grünen-Landesbüro entfernt, beim Neuen Forum, ist alles ausgeflogen, heute fällt die Wahlkampfvorbereitung zugunsten einer Aktion in der Innenstadt zu den Stasiakten aus. Die Wochen zuvor hatten sich die beiden hauptamtlichen Mitarbeiter in dem Büro in der Hegelstraße fast ausschließlich mit dem Fall „Udo Knapp“ zu beschäftigen, der bei der Kandidatenaufstellung zunächst den NF-Erstunterzeichner Hans-Joachim Tschiche vom fünften Platz der Bündnisliste verdrängt hatte. Ohne die Wiederholung der Kandidatenkür eine Woche später, bei der der Grüne Udo Knapp dann auf den 44. Platz zurückgestuft wurde, wäre ausgerechnet allein das Neue Forum in Sachsen-Anhalt mit einem Westimport auf einem Spitzenplatz angetreten. Bis Platz fünf stehen die Namen der Kandidaten auf den Wahlzetteln, und anders als in der übrigen DDR finden sich in Sachsen-Anhalt auf allen Listen keine aus dem Westen zugezogenen Spitzenkandidaten.

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