Ohne Rückgrat am Tresen in Berlin

■ Kneipen-Untersuchung zu Körpersignalen in Ost und West

Genau die Hälfte aller westlichen Zecher, aber nur magere vier Prozent aller östlichen saßen 1988 mit aufrechter Körperhaltung in den Berliner Kneipen. Das ermittlete die amerikanische Wissenschaftlerin Gabriele Oetting. Der Realsozialismus stand noch in voller Blüte, als Oetting ihre Mitarbeiter in 31 Proletarierkneipen im Ost- und Westteil der Stadt schickte. Die männlichen Zecher wurden heimlich beobachtet, sechs verschiedene, auf eine mögliche depressive Gemütslage deutende Körpersignale wurden einige Minuten lang registriert und gezählt. Das überaus eindeutige Ergebnis: 69 Prozent aller Westberliner, aber bloß 23 Prozent der Ostberliner hatten die Mundwinkel nach oben gezogen. 80 Prozent aller Kneipenbesucher im Westen und nur sieben Prozent im Osten ließen Arme und Beine baumeln, ihr Körper war „unverbarrikadiert“.

Trotz aller berechtigten Vorbehalte gegen vorschnelle Interpretationen, liefert die Untersuchung durchaus einige Hinweise auf eine größere Depressivität im Osten. Nach dem Zusammenbruch des Nazireiches habe die DDR den depressiven und die BRD den manischen Teil der Schuldabtragung und -verdrängung gewählt, so lautet eine These der Ostberliner Psychotherapeutin Annette Simon. Zumindest auf der phänomenologischen Ebene wird sie durch das Ergebnis von Oetting bestätigt. usche