Schatten auf Weizsäckers Weste

In der Nicolai-Kirche in Leipzig weicht von Weizsäcker Fragen nach seiner Firmenbeteiligung aus/ Der Präsident hält 13,89 Prozent von Bosch/ Bosch-Töchter liefern Kriegsmaterial in den Irak  ■ Von Thomas Scheuer

Der Weg Richard von Weizsäckers ins Amt des Bundespräsidenten führte über Topjobs der Großindustrie. Bei seinem ersten Auftritt auf Ex-DDR-Gelände, am Sonntag abend in der Leibziger Nicolaikirche, sprach der Bürgerrechtler Lässig den Bundespräsidenten auf seine frühere Rolle in Konzernen an, in deren Produktionspalette Kriegsmaterial eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Ausreden durfte Lässig nicht. Weizsäcker selbst, designiertes moralisches Über-Ich der erweiterten Gesamtnation, mahnte den Kritiker lediglich zu „Sorgfalt statt Eifer“. Ein klärendes Wort wäre mehr gewesen.

„Überall, wo neue Ideen gebraucht werden“, so ihr Werbeprospekt, dient sich die Heidelberger Firma Teldix GmbH als Partnerin an. „Unsere Verantwortung endet nicht mit der Auslieferung der Geräte,“ versichert die Firmenreklame: „Teldix-Service-Ingenieure warten und betreuen unsere Geräte im Werk oder am Einsatzort.“ Bei den angepriesenen „Geräten“ handelt es sich um hochkomplizierte Militärelektronik, etwa um die „Gehirne“ von Lenkwaffen, die ihre Ziele und Opfer aufgrund eingespeister Computerdaten selbsttätig suchen und zerstören. Ein Produktionsschema der Firma (Participation in Defense Programms“), das der taz vorliegt, zeigt, wo die „Ideen“ der Teldix gefragt sind: MRCA Tornado, Alpha Jet, F 104, Gepard, Roland, Fregatte F 122, Torpedo SEAL — kaum ein modernes Waffensystem, in dem nicht „intelligente Elektronik“ aus dem Hause Teldix mitlenkt.

Auf den möglichen „Einsatzort“ der Teldix-Produkte läßt der Hochglanzprospekt nur schließen: Die Sanddünen einer Wüstenlandschaft überziehen ein doppelseitiges Farbfoto. Tatsächlich ist Teldix-Elektronik auch im Irak im Einsatz: Vom Münchner Raumfahrt- und Rüstungskonzern MBB womöglich zum Teil illegal — die Staatsanwälte ermitteln noch — in den Irak verscherpelten Kampfhubschrauber sind mit „Map Display Systems“, einer Art elektronischer Landkarten, ausgerüstet. Auch die von MBB nach Bagdad verschobenen Luftabwehrraketen vom Typ Roland werden ebenso wie die Waffensysteme HOT und Milan von Teldix-Suchköpfen gelenkt.

Bosch-Tochter Teldix

Teldix gehört über die Firma ANT zum Firmenimperium der Robert Bosch GmbH. Diese wird von der Robert Bosch Stiftung GmbH kontrolliert. Das Wörtchen „Stiftung“ im Namen letzterer täuscht eine solche jedoch nur vor. Tatsächlich weist das Handelsregister Stuttgart unter der Nummer HRB 109 eine ganz normale Firma aus.

Seit 1974 ist Richard von Weizsäcker mit 13,89 % an der Robert Bosch Stiftung GmbH beteiligt. Angeblich ruht seine Gesellschaftertätigkeit seit seiner Wahl am 23. Mai 1984 zum Bundespräsidenten. Doch das notarielle Protokoll einer Gesellschafterversammlung der Robert Bosch Stiftung GmbH vom 19. 11. 1987 in Stuttgart (Urkundenrolle Nr. 4317/1987 K) führt als teilnehmenden Gesellschafter Herrn Richard von Weizsäcker auf; und gemäß eben diesem Protokoll „beschließen die Gesellschafter einstimmig“ diverse Vorlagen. Erst im April 1989 stellte der Notar urplötzlich und reichlich verspätet „in Ergänzung der Niederschrift vom 19. 11. 1987“ fest, daß sich der Gesellschafter Weizsäcker an der Abstimmung nicht beteiligt habe. Dem Staatsoberhaupt ist jeder Nebenerwerb, also auch aktive Gesellschaftertätigkeit, gesetzlich untersagt. Aufgrund einer Anzeige des Mannheimer Ex-Richters Rudolf Deichner, dessen European Consulting Corporation die Machenschaften von Banken und Rüstungskonzernen durchleuchtet, ermittelte die Staatsanwaltschaft zeitweise gegen Weizsäcker wegen des Verdachts auf Anstiftung zur Falschbeurkundung (Aktenzeichen: 5 Js 72778/89). Weizsäcker selbst bereicherte die Protokoll-Ungereimtheiten seinerzeit um ein drittes Papier, nämlich die private Mitschrift eines Aufsichtsratsmitgliedes, die den Präsidenten „als Gast“ auflistet.

Die formaljuristischen Feinheiten einmal beiseite gelassen, stellt sich doch die Frage: Wenn dem Bundespräsidenten die Geschäfte des Robert-Bosch-Imperiums so am Herzen lagen, daß er in seinem überfüllten Terminplan noch eine Lücke für eine Gesellschaftersitzung fand — als Nur-Gast oder in welcher Eigenschaft auch immer — warum hat er sich dann nicht angesichts seines hohen moralischen Anspruchs auch für Verwicklungen dieses Konzerns in eine mehr als fragwürdigen Branche, dem schmutzigen Geschäft mit Kriegsmaterial, interessiert?.

Schließlich rückten skrupellose Waffen-Exporte in den Irak gerade in den vergangenen Wochen die Bundesrepublik, deren internationaler Ruf dem Bundespräsidenten eigentlich am Herzen liegen sollte, ein Mal mehr in den Mittelpunkt weltweiter Proteste. Doch wenn es um die vielzitierten „Händler des Todes“ geht, zeigt ausgerechnet der Mann, der sich als Gewissen der Nation zu profilieren sucht, auffallende Zurückhaltung. Über die Daimler-Benz AG und zwei zwischengeschaltete Beteiligungsgesellschaften redet der Bosch-Konzern zusammen mit der Allianz AG auch beim Münchner Rüstungsgiganten MBB mit. Für dessen Killermaschinen liefert Teldix „im Verbund der Bosch-Kommunikationstechnik“ (Prospekt) die „Gehirne“. Gegen beide Firmen ermitteln Staatsanwälte derzeit wegen des Verdachts auf Verletzung der Exportbestimmungen und des Kriegswaffen-Kontrollgesetzes durch Lieferungen in den Irak.

Weizsäcker und Boehringer

Auch daran wollte Bürgerrechtler Lässig in Leipzig erinnern: Von 1962 bis 1966 fungierte Richard von Weizsäcker bei der Chemiefirma Boehringer in Ingelheim als persönlich haftender geschäftsführender Gesellschafter. In dem von Weizsäcker autorisierten Buch „R. v. Weizsäcker“ behaupten die Autoren Werner Filmer und Heribert Schwan, ohne dessen Einwilligung sei damals keine wichtige Unternehmensentscheidung bei Boehringer gefallen. Die Chemiefirma Boehringer, deren ökologisches Verantwortungsbewußtsein später durch Schlagzeilen über Dioxin-Skandale anschaulich beleuchtet wurde, arbeitete in den 60er Jahren eng mit der US-Firma Dow Chemical zusammen — als Zulieferer für den oft als Entlaubungsmittel verharmlosten Kampfstoff „Agent Orange“. In dem 'Spiegel‘- Buch „Supergift Dioxin — der unheimliche Killer“ zitieren die Autoren Hans-Dieter Degler und Dieter Uentzelmann aus der Aktennotiz eines Boehringer-Mitarbeiters über die damalige Auftragslage bezüglich Grundstoffen für „Agent Orange“: „Solange der Vietnam-Krieg andauert, sind keine Absatzschwierigkeiten zu erwarten.“