Als die Partei einmal ins Mark getroffen wurde

Schwante, ein Jahr danach/ Die Initiatoren der DDR-SPD erinnern an die Gründung ihrer Partei vor einem Jahr/ Viel Mythologie und kaum Lust zur selbstkritischen Erinnerung/ Die anfängliche Distanz der West-Genossen wird wegretuschiert  ■ Von Matthias Geis

Die SPD der DDR, mittlerweile im großen Schoß ihrer West-Schwester aufgegangen, bleibt die Partei der verpaßten Chancen. Schwante, 7.0ktober 1990, ein Jahr nach Gründung der SDP, wäre kein schlechter Lokaltermin gewesen, um diese Tradition zu korrigieren und wenigstens im nachhinein einige kritische Gedanken zur Rolle der Partei innerhalb der DDR-Opposition zuzulassen. Doch die Verlockung, sich am Mythos von Schwante aufzuwärmen, bleibt für die paar Versprengten aus dem vierzigköpfigen Gründerkreis, die an diesem grauen Sonntagnachmittag in die kleine Gemeinde nordwestlich von Berlin gekommen sind, bestimmend.

Dabei hätte schon die Ortsbesichtigung im Gemeindehaus, wo vor einem Jahr die Gründung vollzogen wurde, alle Reanimationsgelüste im Keim ersticken müssen. Statt der vierzig Oppositionellen von damals drängen sich jetzt ungefähr ebensoviele Journalisten in den beiden kahlen Räumen. Zu sehen gibt es nichts. Nicht einmal das historische Sofa ist mehr da. In Ermangelung eines prominenten Gründers illuminiert das Kamerateam Johannes Rau, während er die erste Seite des Gästebuches mit seinem Namen ziert. Wo denn die Reliquien seien, witzelt einer in das peinliche Gedränge. „Die Reliquie, das ist der etwas stickige Geruch hier“, meint Johannes Rau überraschend hellsichtig, der damit auch schon das Motto zur folgenden Gedenkveranstaltung ausgibt.

„Einjähriges Jubiläum — und sie ist gar nicht mehr da“, wundert sich Rau. Wie die Gründung damals in der Bonner Baracke aufgenommen wurde, will einer wissen. „Wir haben uns sehr gefreut und wußten gar nicht, ob das gutgehen kann“, retuschiert Rau die historische Wahrheit. Denn viele prominente Genossen wußten damals eben, daß das nicht gutgehen kann. Carsten Vogt, diesmal ebenfalls in Schwante zugegen, hielt die Gründung für schädlich, Walter Momper sah die sensiblen Kontakte zu reformwilligen SEDlern gefährdet, Egon Bahr kam die Gründung irgendwie „illegal“ vor. Die innige Verbundenheit entwickelte sich erst, als sich auch in Bonn herumgesprochen hatte, daß der bisherige Exklusivpartner SED am Ende war und die Angriffe aus der Union am besten damit zu kontern seien, daß man sich der neugegründeten Schwesterpartei zuwandte.

Nur am Rande der Veranstaltung und hinter vorgehaltener Hand kolportieren einige Gründer, wie es damals wirklich war. In die offiziöse Parteihistorie wird diese Version nicht eingehen. Schwamm drüber, es lebe die Einheit der Partei!

Und ihre historische Rolle: „Ins Mark getroffen“, habe man die SED mit der Gründung von Schwante, so Steffen Reiches Jubiläums-These. Seine pathetisch-peinliche Rede markiert bei dem schon bekannten Versuch einiger Ex-DDR-Genossen, sich die Schlüsselrolle im Revolutions-Herbst zuzuschreiben, einen bislang unerreichten Höhepunkt. Kein Wort von den Übersiedlern, die das Regime in den Ruin trieben. Die Bürgerbewegungen erscheinen bestenfalls als verschrobene, letztlich aber politikunfähige Träumer. Die Aufkündigung des Wahlbündnisses ist keiner Erwähnung wert: Die Gründung der SDP, das war — so Reiche — „die Axt an der Wurzel des Regimes“, der „gespitzte Pfeil in der Brust des hohlen Kolosses“. Erst in Schwante sei die „Bürgerbewegung mündig geworden“, habe „ihren 18.Geburtstag gefeiert“. Keiner im Raum, der den Jung-Genossen auf den Boden holt. Nur Ex-Parteichef und mittlerweile Gesamtpartei-Vize Wolfgang Tierse, setzt zu Beginn seiner Rede eine vorsichtige Distanzierung: „Ich war vor einem Jahr nicht dabei.“

Ex-Außenminister Markus Meckel bleibt es dann vorbehalten, bei einer abendlichen Diskussionsveranstaltung im Hotel „Stadt Berlin“, die notwendigen Korrekturen am allzu geschönten Bild anzubringen: „Das System war überlebt, der Herbst wäre auch ohne uns so gelaufen.“ Für die Politik der SPD nach dem 18.März in der großen Koalition hat Meckel dann nur ein vernichtendes Urteil parat: Am Ende sei man nur zu einer Politik fähig gewesen, „von der wir sagen müssen, daß sie nicht die Interessen derjenigen vertreten konnte, die uns gewählt haben“.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerd Weisskirchen, einer der wenigen prominenten Westler, die lange vor dem offiziellen SPD- Schwenk Kontakte zur DDR-Opposition hatte, nimmt Meckels kritischen Faden auf und erinnert als einziger an die anfängliche West-Ost- Distanz, wie die jahrelange Tendenz der West-Linken, die DDR als Projektionsfläche ihrer eigenen Wunschvorstellungen mißbraucht, und die „realen Wünsche der Bevölkerung“ vernachlässigt zu haben. Vielleicht, so Weisskirchen, liege darin ein Grund für den „Sieg des Etatismus“ auf Kosten einer erweiterten Demokratie. Zu „selbsttönender Gedächtnislosigkeit“ jedenfalls gebe es keinen Anlaß. Doch einer setzt weiter auf Erfolgsgeschichte. Carsten Vogt, westlicher Gründungskritiker von einst, will von einer Niederlage nichts wissen. Erstaunlich viel an sozialdemokratischen Inhalten sei verwirklicht worden. „Die Parteigründung war notwendig.“