: Die Identitätskrise hat gewählt
■ Neben Franz Vranitzky, dem starken Fachmann der Mitte, gewann ein moderner Rechtsradikalismus
Wahlergebnisse müssen als Spiegelbilder der Realität gelesen werden. Die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) hat sich als große Integrationspartei bestätigt. Ihr ist es mit ihrem Spitzenkandidaten Franz Vranitzky gelungen, sich als Partei des sozial abgefederten Industrialismus zu präsentieren. Auf Vranitzky wurde der Wahlkampf konzentriert, er sollte für eine Politik der „Mitte“ stehen, die weder „links“ noch „rechts“ sein soll, sondern auf faire Interessenverwaltung und auf sozialen Frieden setzt. Und zum sozialen Frieden gehört in Österreich für viele auch eine Portion Antifaschismus. Obwohl es aus seiner Partei in den vergangenen Jahren ab und zu Stimmen dafür gab, mit der FPÖ zusammenzuarbeiten, hat Vranitzky sich gegenüber den Rechtsradikalen eindeutig abgegrenzt. Die ÖVP hingegen schloß im Wahlkampf ein Bündnis mit der FPÖ nicht eindeutig aus. Durch die Grenzziehung gelang es den Sozialisten, liberale Wähler wiederzugewinnen, die aus Ärger über die Korruption in der SPÖ fast die Volkspartei gewählt hätten. Gleichzeitig demonstrierte die SPÖ aber auch, daß sie auch die Ängste rechter Wähler versteht: Der SPÖ-Innenminister Löschnack ließ das Bundesheer aufmarschieren, um die Flüchtlinge aus Osteuropa an der österreichischen Staatsgrenze zu stoppen.
Wien sieht sich ins Zentrum Europas gerückt
Daß nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Österreich selbst einen Zaun gegen Osten aufrichtet, ist ein Symptom für das gegenwärtige Mehrheitsbewußtsein. Es gibt nach 1989 nicht nur Hoffnungen, daß Wien aus der Randlage Westeuropas zum Zentrum des neuen Europas wird, sondern auch starke Ängste: Die gemütliche Rolle der kleinen, neutralen Alpenrepubik mit UNO-Sitz und Opernball, die eine Mittlerfunktion zwischen zwei verfeindeten Großmächten spielte, ist vorbei. Es brechen Befürchtungen auf, im Wettlauf mit Berlin, Prag und Budapest zu langsam zu sein und im Anschluß an die EG ökonomisch zu den Schwächeren zu gehören.
Moderne Rechtsradikale
In dieser Identitätskrise ist das zweite Ergebnis der Nationalratswahl bedeutsam: Die rechtsradikale FPÖ ist dabei, zur stärksten politischen Kraft rechts von der SPÖ zu werden. Die Möglichkeit des Erfolgs der FPÖ ist doppelt begründet: Im Unterschied zur Front National und zu den deutschen Reps ist die traditionell als selbständige rechtsradikale Partei im Parteiensprektrum Österreichs verankert. Selbstbewußt kann sie, ohne in den Beobachtungsbereich des österreichischen Staatsschutzes zu geraten, an die „Nationalfreiheitlichen“ anknüpfen. Sie waren die Vorläuferbewegung der NSDAP in der ersten österreichischen Republik. Aber die FPÖ ist nicht nur historisch „gewachsener“ als die deutschen „Republikaner“, sie ist auch moderner. Einerseits stellt sich Jörg Haider — der seine Karriere mit einem Artikel in der 'Nationalzeitung‘ begann — als Jungmanager dar, der seine Partei wie ein High-Tech-Unternehmen führen will. Andereseits präsentiert sich die FPÖ — die Schwäche der österreichischen Grünen ausnutzend — als Partei der Bürgerinitiativen, als Basisbewegung aller „anständigen Bürger“.
Erfolge im Arbeitermilieu
Der FPÖ-Erfolg demonstriert aber nicht nur die Schwäche der rechtskonservativen ÖVP, die fast apathisch dem Zerfall ihrer soziokulturellen Grundlage, der klerikalen Identität und den ländlichen Lebensformen gegenübersteht. Der Zuwachs der modernisierten Rechtsradikalen zeigt auch, daß das Phänomen Vranitzky die strukturelle Schwäche der SPÖ überdeckt. Vom Verschwinden der Arbeiterkultur — die in Wien traditionell sehr stark war — scheint die SPÖ mit ihrem politischen Angebot der Identität in der „Volksgemeinschaft“ zu profitieren. Alle fünf Bezirke Wiens, in denen die rechte FPÖ zur zweitstärksten Partei geworden ist, sind Arbeiterwohngebiete, traditionelle „sozialistische“ Hochburgen.
Der FPÖ-Erfolg ist nicht zuletzt ein Resultat der Medienöffentlichkeit Österreichs. Daß irgendein Arbeiterkammerfunktionär zuviel Aufwandsentschädigung bekommen haben soll, gilt als Skaldal erster Ordnung. Daß unter einer SPÖ-Regierung Waffen in den Iran und Irak illegal exportiert wurden, wird nur in den wenigen linken Kaffeehäusern ernsthaft diskutiert. Jörg Haider hat seine Meinungsmacher in den Boulevardzeitungen Österreichs, die bald den ganzen Zeitungsmarkt beherrschen und mit Skandaljournalismus und immer wieder mit antisemitischen Untertönen ein Klima des reaktionären Populismus schaffen. Walter Oswalt
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