“Was ist eigentlich normal?“

■ Evangelische Kindertagesstätten diskutierten integrative Therapieansätze

Kindertherapie wie sie nicht sein soll: Isoliert, weit weg von der natürlichen Unmwelt.Foto: Jörg Oberheide.

Eine Vision: Was wäre eigentlich, wenn jedes Kind schon in der Schule die Gebärdensprache lernen würde? Es gäbe keine Verständigungsprobleme mehr, weder zwischen Hörbehinderten und „normalen“ Menschen, noch unter den verschiedenen Völkern. Nebenbei: Ein Traum von Vielen würde wahr. Man könnte ohne lästiges Vokabelpauken in jedes Land der Welt reisen. Und wer hätte dabei eigentlich am meisten gelernt? Die von der Gesellschaft ausgesonderten „Behinderten“ oder die „Normalen“?

Seit einigen Jahren wird die Diskussion über Methoden, Qualität und Ziele therapeuthischer Arbeit mit behinderten Kindern immer unübersichtlicher. Das betrifft vor allem die Bereiche der Bewegungs-, Psycho-und Sprachtherapie. Die Fachtagung des Landesverbandes für Evangelische Kindertagesstätten Bremen „Therapie-Anspruch und Widerspruch“, die heute zuende geht, sollte vor allem dazu dienen, der Auseinandersetzung eine neue Richtung zu geben. „Wir wollen den Integrationsgedanken wieder stärker in den Mittelpunkt rücken“, meinte Ilse Wehrmann, Referentin für Evangelische Kindertagesstätten,“und die integrierte Therapie weiterentwickeln.“ Hier habe besonders die Kirche, mit 3.000 Kindergartenplätzen zweitgrößter Träger neben der Stadt, eine besondere Verantwortung. Immerhin seien zwischen den 40 Kindergärten 11 integrative Einrichtungen mit 120 Behinderten, die gemeinsam mit anderen Kindern betreut würden.

Bisherige Ansätze müßten selbstkritisch durchleuchtet werden, erklärte die Krankengymnastin Hille Vieborock. „Es kann nicht mehr darum gehen zu reparieren und heilen, sondern man muß den Kindern in ihrer normalen Umwelt Unterstützung geben.“ In der Praxis kann das folgendermaßen aussehen: Ein Kind, daß Probleme mit bestimmmten Bewegungen, zum Beispiel mit dem Sichaufrichten hat, aber gern mit Bauklötzen spielt, wird dabei unterstützt sie aus einer hohen Schublade zu holen. Das Kind selbst ist motiviert und empfindet die Situation nicht als künstlich. Nach traditionellen Methoden hätte ein Therapeut das Kind inform von Übungen immer wieder die gleiche Bewegung machen lassen. Das Kind wäre auf den Therapeuten konzentriert, würde ohne eigenen Antrieb reagieren. „Meine Erfahrung ist“, erzählt Viebock, „daß der andere Weg viel eher zum Erfolg führt“.

„Wer bestimmt, was 'normal– ist?“, fragte Inge Gurlit, Vizepräsidentin des Kirchenausschusses in ihrem Einführungsreferat. In einer Welt, die immer perfekter werde, würde doch praktisch alles ausgesondert, was nicht den Vorstellungen von Normalität und Perfektion entspräche. „Individualität ist wenig gefragt." bz