Bewegte Zeiten

■ betr.: "Grüne fransen weiter nach links aus", taz vom 2.10.90

betr.: „Grüne fransen weiter nach links aus“, taz vom 2.10.90

Wir leben in bewegten Zeiten, wobei die Bewegung zumindest dem Anschein nach von den Grünen weg und zur PDS hingeht. Allerdings möchte ich vor Verallgemeinerungen warnen und Differenzierungen vorschlagen.

Wenn Ulrich Briefs „sein“ Bundestagsmandat den Grünen klaut, so hat dies etwas Lustiges — vor allem seine Begründung. Diese läuft nämlich darauf hinaus, daß er jetzt der letzte aufrechte Grüne im Bundestag ist. Leider sieht das die Partei anders. Sie hat die Merkwürdigkeiten, die Ulrich Briefs sich in den vergangenen Jahren, vor allem aber Monaten geleistet hat, nicht honoriert, sondern berechtigterweise auf das Konto „Was will der eigentlich?“ gebucht.

Briefs hat nur eine psychosozial zu erklärende Variante der „Ausgrenzung“ vorexerziert, der andere jetzt nacheifern: Wenn ich nicht wieder auf die Bundestagsliste gewählt werde, zeigt das: Für Linke ist bei den Grünen kein Platz mehr, die werden ausgegrenzt.

Ganz ähnlich probiert daran anscheinend Anja Krüger herum, Ex- Redakteurin der 'Grünen Zeitung NRW‘, die jetzt zur Märtyrerin stilisiert werden soll. Sie arbeitet, selbstverständlich als Grüne, in einer Konkurrenzorganisation nicht nur so nebenbei mit und wundert sich, daß die Partei das nicht witzig findet. So naiv kann Anja Krüger nicht sein. So naiv sind auch die KollegInnen in der Redaktion nicht, die jetzt so empört tun.

Was passiert denn zur Zeit: Diskussions- und grußlos gehen ehemals wichtige Leute des „Linken Forums“ zur PDS, dem kümmerlichen Rest der SED. Das bedeutet: Sie haben jahrelang den „Gründungskonsens“ der Grünen nicht ernstgenommen, sondern nur für sich instrumentalisiert, wenn Linke angeblich oder tatsächlich ausgegrenzt werden sollten. Ich wünsche dabei viel Spaß, bin allerdings sicher, daß auch dieser allerletzte Versuch, den traditionalistischen Sozialismus zu retten, scheitern wird. Danach wird es dann aber wahrscheinlich keine Partei als Wartesaal auf den richtigen Sozialismus mehr geben. Richard Kelber, Dortmund